Kapitel Drei – Opfer der Vergangenheit

Als Edmond zwei Tage später von einem der Altair Vampire abgeholt und zu den Altairs gebracht wurde, war er sehr überrascht, als sie am Ende ihrer Fahrt in einer kleinen Wohnsiedlung anhielten, direkt vor einem netten Familienhäuschen mit einem hübsch angelegten großräumigen Garten. Zuerst vermutete er, dass sein Fahrer hier vorher noch jemanden besuchen wollte, bevor sie zum eigentlichen Ziel fahren würden, doch dann sagte ihm dieser, dass sie bereits angekommen seien.

Verdutzt folgte Edmond ihm in das Haus und stellte dabei fest, dass hier alles sehr sauber und ordentlich war. Zu ordentlich, denn es wirkte ganz so, als ob niemand wirklich hier leben würde und schließlich stellte sich heraus, dass es tatsächlich so war.

Edmond folgte dem Vampir bis in das Schlafzimmer, wo im Kleiderschrank eine verborgene Safetüre versteckt war. Der Vampir drehte an dem Knopf und wählte eine bestimmte Zahlenkombination aus. Dann steckte er zusätzlich noch einen Schlüssel in das Schloss, bevor er die schwere Tresortüre mit dem großen Hebel öffnen konnte. Den Schlüssel wieder herausziehend, griff er nach Edmonds Arm und schob ihn durch die Türe. Erst erschrak Edmond furchtbar, weil er glaubte der Vampir wollte ihn in den Safe sperren, doch dann erkannte er, dass es sich gar nicht um einen Safe handelte, sondern es wie bei den Antares ein geheimer Eingang zu einer Treppe war, die nach unten führte.

Zu seinem Leidwesen, herrschte auch hier völlige Dunkelheit als der Vampir die Safetüre hinter ihnen verschloss. Glücklicherweise hatte der Vampir eine Taschenlampe dabei, womit Edmond der Wendeltreppe sicher nach unten folgen konnte. Am Ende kamen sie an einer weiteren Türe an, die direkt ins Reich der Altairs führte.

Der Doktor staunte sehr über die noble Räumlichkeit, der er begegnete. Er befand sich in einer Art Lounge, von der eine weitere große Treppe nach unten führte. Es war als ob er ein edles Herrenhaus betreten würde, von wo aus die Treppe normalerweise nach oben führte, nur dass es hier genau anders herum war. Die Wände waren rot gestrichen und wirkten wie die Wände eines Königshauses. Der Boden war aus dunklem Marmor und die Decke war mit reinweißen Stuckarbeiten versehen.

Links und rechts an der obersten Stufe der hölzernen Treppe standen zwei mannsgroße Marmorfiguren. Rechts war es ein Mann, der mit einem sehnsüchtigem Blick nach links zu der zweiten Figur blickte und sich mit einer Hand danach streckte, während ihm gegenüber an der linken Seite eine hübsche Frau war, deren Blick und Körperhaltung auf ähnliche Weise zu ihm gerichtet war, als wären sie ein unglückliches Liebespaar. Würde man die beiden Figuren näher zusammenstellen, würden sich ihre Finger berühren, ähnlich wie in dem berühmten Gemälde von Michelangelo. So waren sie in Stein gefangen und für immer verdammt, sich in unerreichbarer Nähe gegenüber zu stehen. Für alle Zeiten dazu verflucht, niemals vereint sein zu dürfen.

Berührt von diesem traurigen Anblick, blieb Edmond vor der Treppe stehen, bis der Vampir ihm zurief, endlich zu kommen.

Unten am Fuße der Treppe angekommen, eröffnete sich für den Doktor eine weitere faszinierende Welt. Vor ihm erstreckte sich ein weiter großer Raum, ähnlich wie der große Aufenthaltsraum der Antares. An der linken Seite des Raumes standen auch ein paar runde Tische und Stühle verteilt, doch diese waren aus dunklen alten Hölzern und nicht so modern wie bei den Antares. Ein großer Teppich war hier auf dem Boden ausgelegt, dessen Muster in dunklen Farben gehalten war und ebenfalls sehr edel wirkte. Dadurch wirkte der Raum insgesamt freundlich und warm, obwohl er so groß war.

Mehrere Türen führten von diesem Raum aus in andere Zimmer und am Ende des Raumes konnte Edmond sehen, wie jeweils links und rechts ein Gang zu einem weiteren Bereich führte. An der Wand zwischen den beiden Gängen stand ein großer seltsam aussehender Sessel. Er war viel größer als ein gewöhnlicher Sessel. Er wirkte sehr alt und schon ein wenig verschlissen, aber Edmond vermutete, dass dieser sehr gemütlich war. Hätte er sich für einen Sitzplatz in diesem Raum entscheiden sollen, wäre dieser Sessel gewiss seine erste Wahl gewesen.

Nachdem der Vampir erneut mit einem Räuspern auf sich aufmerksam machte, folgte Edmond ihm schließlich den linken Gang nach hinten entlang. Sie gingen an einigen Türen vorbei, wobei es Edmond so vorkam, als würden sie eine große Kurve nach rechts gehen, sodass sie irgendwann an der anderen Seite wieder im selben Raum herauskommen müssten, wo sie den Gang betreten hatten, wobei sein Gefühl ihn nicht täuschte. Nur dass sie nicht wieder zurückgingen, sondern etwa in der Mitte des Ganges bei einer großen Türe mit zwei Flügeln stehen blieben.

Dort klopfte der Vampir, worauf eine Stimme ihm Einlass gewährte. Edmond und der Vampir betraten einen leeren Saal, der nur allein durch eine große rechteckige Tafel beherrscht wurde, an der der Doktor Noel, Peter und Zaida wieder erkannte. Zwei weitere Vampire waren noch anwesend, doch sie waren ihm fremd. Einer davon erhob sich, als sein Wegbegleiter zu ihm trat und sie begrüßten sich freundlich.

Es war Jacob, der sich erhoben hatte, um Thomas, seinen Centra, zu begrüßen. Neben Jacob war noch Michael, sein junger Centradu, der seinen Bruder nun ebenfalls freundlich in den Arm schloss.

Die Vampire hielten gerade eine allgemeine Lagebesprechung ab, wobei Zaida ihnen mit wertvollen Ratschlägen zur Seite stand.

„Hallo Edmond. Es ist schön, Sie wieder zu…", wollte Noel seinem menschlichen Gast gerade willkommen heißen, als sich plötzlich unangekündigt die Türe öffnete und Svenja nervös hereinlugte. Ein Blick genügte, um zu sehen, dass ihr etwas auf dem Herzen lag, weshalb er sie mit einer Handbewegung zu sich winkte.

„Edmond, warum setzen Sie sich nicht? Peter wird Ihnen später Ihr Zimmer zeigen", lud Noel seinen Gast ein, bevor er seine Aufmerksamkeit weiter auf Svenja richtete.

Diese ging demütig vor Noel auf die Knie und bat: „Bitte verzeih, dass ich dich gestört habe, aber ich habe mich an etwas erinnert, das Altair betrifft, und ich glaube, es könnte wichtig für dich sein."

„Erkläre mir das genauer", forderte Noel die Vampirin auf.

Jeder Anwesende lauschte nun interessiert, als Svenja genauer berichtete: „Einen Tag vor seinem Tod verbarg mein Sirus ein Geheimnis vor mir. Er ermahnte mich streng, dass ich unter keinen Umständen hinunter in seinen geheimen Raum gehen durfte. Er sagte mir nicht, was er dort verborgen hielt, doch er machte eine seltsame Bemerkung, dass er jemanden getroffen habe, und sich sehr bald einiges im Clan ändern würde."

„Wobei er gar nicht so unrecht hatte. Geändert hat sich einiges", witzelte Peter frech, was er sogleich mit einem mahnenden Blick seines Sirus’ büßen musste.

An Jacob gewand, fragte Noel freundlich: „Könntet ihr euch das bitte mal ansehen?", womit er Jacob und seine beiden Söhne meinte. Obwohl diese nun keine Mitglieder der Rangorder mehr waren, sondern nur einfache Kalkadore, behandelte sie Noel weiter, als wären sie noch immer ein Teil der Rangorder. Solange Djoser und Peter noch keine eigenen Nachkommen hatten, sprach auch nichts dagegen dies so weiterzuführen, da nach dem Tod ihres Clanführers die eigentliche Rangorder nur noch aus vier Vampiren bestand, was für wichtige Entscheidungen zu wenig war. Also würden Jacob und seine Söhne noch so lange einen Platz an dieser Tafel haben, bis Peter und Djoser jeweils eigene Nachkommen erschaffen würden.

„Jawohl mein Sirus", erwiderte Jacob respektvoll. Thomas und Michael deutet er dann an, diesem mysteriösen Geheimnis auf die Spur zu gehen, worauf die beiden sich sofort erhoben und sich von Svenja den Weg zeigen ließen.

Danach wandte sich Noel wieder an Edmond, der sich mittlerweile neben Peter gesetzt hatte, und sagte: „Edmond, wie hat Ihnen das Haus gefallen, das über unserem Versteck steht?"

„Es sieht sehr nett aus, weshalb fragen Sie?", erwiderte Edmond, wobei er heimlich hoffte, genaures über dieses Haus zu erfahren.

„Würden Sie gerne dort wohnen?", bot Noel ihm an.

„Nun ja…", meinte Edmond zunächst sprachlos und sagte dann: „Ich stelle es mir sehr schön darin vor." Er glaubte nicht wirklich, dass Noel ihm anbot, dort zu wohnen. Bis auf die Tatsache, dass von dem Schlafzimmer eine geheime Türe zu einem unterirdischen Vampirreich führte, war das Haus viel größer und hübscher als das, in dem er früher gelebt hatte.

„Sie sind willkommen hier bei uns zu leben, doch wie Sie sich sicher denken können, sind wir hier unten nicht sehr gut für die Bedürfnisse eines Menschen eingerichtet. Nachdem Altair nun tot ist, besteht kein Grund mehr, weshalb man Sie für tot halten müsste. Sie könnten angeben, dass Sie zum Zeitpunkt des Brandes nicht zu Hause waren. Ich glaube kaum, dass Sie dadurch Probleme bekommen werden. Sie könnten oben in das Haus einziehen und wären damit unsere geheime Verbindung zur Menschenwelt", machte Noel es dem Doktor ein wenig schmackhafter, obwohl dies gar nicht notwendig war. Spätestens bei der Hälfte seiner Erklärung hatte Edmond bereits angebissen. Er hatte befürchtet, für immer bei den Vampiren in der Unterwelt leben zu müssen, weshalb er zu solch einem Vorschlag ganz gewiss nicht nein sagen wollte. Er konnte in sein altes Leben zurückkehren und mit ein wenig Glück währe er vielleicht sogar in der Lage, eine neue Praxis zu eröffnen.

Deshalb antwortet Edmond mit Freude: „Einverstanden!"

Als ob Noel Edmonds Gedanken erfasst hätte, fügte er noch hinzu: „Bitte haben Sie jedoch dafür Verständnis, dass sie keine Arztpraxis in dem Haus eröffnen können. Die Gefahr, dass wir entdeckt werden, ist zu hoch."

„Oh, ich verstehe", erwiderte Edmond sichtlich enttäuscht, worauf Noel hinzufügte: „Es wird ohnehin für Sie nicht notwendig sein zu arbeiten. Sie erhalten monatlich eine ausreichende finanzielle Unterstützung von uns. Als Gegenleistung erwarten wir nur, dass Sie in dem Haus wohnen bleiben, über unsere Existenz schweigen und uns gegebenenfalls warnen, falls eine unerwartete Gefahr auf uns zukommen sollte. Wären Sie damit einverstanden?"

„Ja sicher. Wie hoch, wenn ich fragen darf, wird diese finanzielle Unterstützung sein?", fragte Edmond neugierig nach.

„Glauben Sie mir, es wird genug sein", versicherte Noel lächelnd.

Dieses Lächeln verzog sich jedoch, als er plötzlich einen unangenehmen Geruch wahrnahm. Auch die anderen Vampire witterten diesen Duft und rümpften ebenfalls die Nasen.

„Himmel, was zum Geier stinkt hier so? Das riecht ja wie…", beschwerte sich Peter ungeniert, als im selben Moment die Türe zum Saal aufging und Jacobs Nachkommen eintraten.

Sie beide hatten einen zerknirschten Gesichtsausdruck, der offenbar von dem strengen Geruch herrührte. In ein großes Laken eingewickelt und zu einem provisorischen Sack zusammengehalten, trug Thomas etwas sehr großes auf seinem Rücken, das er nun direkt neben Noel auf den Boden sacken ließ. Ein wimmernder Laut und eine sichtbare Bewegung ließen erkennen, dass es sich um etwas Lebendiges handelte.

„Das hier haben wir gefunden", kommentierte Thomas, während er das Laken auseinander schlug. Darin befand sich ein älterer Junge, der in einem schrecklichen Zustand war. Der üble Geruch kam eindeutig von diesem armen Menschen, der sich nun ängstlich zu einem kleinen Ball zusammenrollte. Viel war nicht von ihm zu erkennen, da sein ganzer Körper mit Schmutz bedeckt war, doch der eindeutige Geruch und einige verkrustete Wunden ließen erahnen, dass er schwer misshandelt worden war.

„Oh mein Gott!", entfuhr es Edmond entsetzt. Zwar war seine Nase nicht fein genug, um die eindeutige Witterung aufzunehmen, doch der alleinige Anblick des Jungen reichte für ihn bereits. Er wollte sofort aufspringen und dem Jungen helfen, doch Peter blockierte ihm den Weg mit seinem ausgestrecktem Arm und warnte den Doktor: „Wenn Sie ihn anfassen, sind Sie ein toter Mann."

„Was? Oh mein Gott, wieso?", fragte Edmond entsetzt.

„Das da ist ein Parley eines feindlichen Vampirclans. Wenn Sie ihn berühren, wird sein Schalnar es riechen und da Sie mehr oder weniger unter den Vampiren leben und über deren Lebensweisen bescheid wissen sollten, wird er Sie töten, wenn er Sie findet", erklärte Peter mit einem frechen Grinsen.

„Woher wissen Sie, dass dieser arme Junge ein Parley eines feindlichen Clans ist? Sie wollen mich doch nur veralbern, nicht wahr? Außerdem, woher sollte dieser Schalnar wissen, dass ich über Vampire bescheid weiß?", meinte Edmond ungläubig. In diesem Moment war Noel sehr froh über Peters Anwesenheit, da er gewiss nicht so viel Geduld aufwenden konnte, um die nie enden wollenden Fragen des Doktors zu beantworten.

„Jeder Vampir kann deutlich riechen, dass er ein Parley ist und welchem Clan er angehört sieht man an dem Brandmahl an seinem Oberschenkel. Sein Schalnar würde es deshalb sofort merken, weil Sie mittlerweile unseren Geruch mit am Leib tragen. Glauben Sie mir, ich will Sie nicht veralbern. Ihn zu berühren, ist ein offnes Kriegsangebot gegen diesen Clan und Sie als Mensch wären dem gewiss nicht gewachsen", erklärte Peter mit einem neckenden Augenzwinkern am Ende.

„Welcher Clan ist das?", fragte nun Noel an Zaida gerichtet, nachdem Edmonds erster Wissensdurst gestillt worden war.

Diese erhob sich von ihrem Platz und ging neben dem Jungen in die Hocke, um ihn sich näher zu betrachten; achtete jedoch dabei darauf, ihm nicht zu nahe zu kommen. Das Brandmahl war ein einfaches V, welches in einem Kreis eingefasst war, worauf sie sehr schnell auf den betreffenden Clan schließen konnte: „Volganer."

„Die Volganer? Sind das nicht Feinde von euch?", fragte Noel näher nach.

„Ja. Und es würde mich sehr stark wundern, wenn auch nur ein Volganer es wagen würde, auch nur in die vage Nähe unseres Clans zu kommen. Der Junge wurde entweder gestohlen oder die Volganer hatten einen wirklich triftigen Grund, sich so nah an unser Gebiet zu wagen", dachte Zaida laut nach.

„Vielleicht hat Altair ihn gestohlen?", mutmaßte Thomas.

Sowohl Zaida als auch Noel verneinten dies mit einer Kopfbewegung und Noel begründete laut: „Hätte Altair ihn gestohlen, würden wir es an ihm riechen können, doch dem Geruch nach hat Altair ihn nicht einmal berührt. Und es kann nicht mehr als vier Tage zurückliegen, dass zuletzt ein fremder Vampir den Jungen benutzt hat."

„Benutzt?", fragte Edmond schockiert nach, doch keiner der Vampire war bereit, ihm eine genauere Erklärung zu geben, weshalb er schlicht ignoriert wurde.

„Kannst du nichts erkennen?", fragte Noel an Zaida gerichtet, ob sie vielleicht in den Gedanken des Jungen eine Erklärung für seine Anwesenheit finden könnte.

Zaida bemühte sich schon seit einer Weile dessen Gedanken zu lesen, doch dort erkannte sie nur eine schreckliche Angst, die ihr durch und durch ging. Sich dem Jungen vorsichtig nähernd, fragte sie sanft: „Wie heißt du, mein Junge?"

Als er merkte, dass er angesprochen wurde, blickte er ängstlich zu der Vampirin auf, sprach aber kein Wort.

Resigniert richtete sich Zaida wieder auf und meinte: „Hoffnungslos. Er ist so voller Angst, dass es keinen Sinn hat."

Fragend lenkte Thomas ein: „Was machen wir mit ihm?"

Dies war eine sehr gute Frage, auf die niemand sofort eine Antwort hatte und weshalb alle fragend zu Noel blickten.

Dieser besah sich den Jungen mit mitleidvollem Blick und meinte: „Gewiss wäre der Tod noch das humanste."

„Sie können unmöglich daran denken, ihn zu töten!", fuhr Edmond ihn entsetzt an.

„Ich habe nicht gesagt, dass ich ihn töten werde!", erwiderte Noel scharf, da ihn Edmonds ständiges Einmischen nervte.

„Mach ihn zu eurem Parley", schlug Zaida vor, worauf Noel ihr einen verwirrten Blick zuwarf.

„Ich hatte eigentlich mehr daran gedacht, ihn zu den Menschen in ein Krankenhaus zu bringen. Ihn zum Parley zu machen, wäre eine offene Kriegserklärung gegen die Volganer", erläuterte Noel seine ersten Gedanken.

„Die Volganer sind schwach und unbedeutend. Sie stellen keine Gefahr für dich und deinen Clan dar. Sie werden es nicht wagen, euch Ärger zu machen. Außerdem habt Ihr den Jungen nicht gestohlen, sondern gefunden. Somit kannst du noch immer behaupten, du hättest es nicht als Kriegserklärung gemacht, sondern nur, um den Jungen vor dem Tode zu bewahren. Mach ihn zu eurem Parley. Heilt seine Wunden und er wird die tiefen Wunden heilen, die Altair in deinem Clan hinterlassen hat", erklärte Zaida genauer.

Noel dachte eine Weile darüber nach, bis er verstand, was Zaida damit meinte. Die körperlichen Wunden seines Centras waren schon beinahe verheilt, doch die seelischen Schmerzen lagen noch immer tief ihn ihm verwurzelt. Djoser war innerlich zerbrochen und schottete sich vollkommen von dem restlichen Clan ab. Er verließ nicht einmal mehr das Zimmer, sondern verkroch sich dort regelrecht, um niemandem in die Augen sehen zu müssen. Nur Noel und seine Brüder duldete er in seiner Nähe.

Vielleicht hatte Zaida Recht und es würde Djoser helfen, sich um jemanden zu kümmern, der ähnliches erleiden musste wie er. Als erster Centra des Clans wäre er zum Schalnar bestimmt und hätte somit für den Jungen zu sorgen. Einen Versuch war es allemal wert, weshalb er zu Peter meinte: „Geh und sag Djoser bescheid, dass ich ihn sofort sehen will. Sag ihm, dass dies keine Bitte, sondern ein Befehl ist. Und beeil dich."

„Ja mein Sirus", erwiderte Peter mit einem kurzen Kopfnicken und stand sogleich auf, um den Befehl auszuführen. Für Noel war es noch immer gewöhnungsbedürftig, wenn sein Centradu ihn auf so korrekte Weise ansprach. Seit Altairs Tod hatte Peter diese Anwandlung und so sehr wie Noel es sich früher gewünscht hätte, dass sein Centradu etwas mehr auf die korrekte Form geachtet hätte, so sehr wünschte er sich nun, dass dieser es nicht tun würde. Dessen freche Kommentare fehlten ihm, obwohl er sich dies früher niemals gedacht hätte.

Peter machte sich auf eine schwierige Aufgabe gefasst. Sein Bruder war in letzter Zeit nicht sehr gesprächig und gerade auf das Thema, das Zimmer zu verlassen, hatte er stets negativ reagiert.

Als er Noels Zimmer betrat, in dem Djoser sich verkroch, fand er seinen Bruder in einer durch die Couch verdeckten Ecke auf dem Boden sitzend vor. Er starrte mit ausdrucksloser Miene vor sich auf den Boden. Seine Arme um seine Knie geschlungen, wirkte er so verloren, weshalb es Peter direkt leid tat, seinem Bruder die Nachricht ihres Sirus’ überbringen zu müssen.

Sich auf die Couch setzend, sagte er zu Djoser: „Noel will dich sehen, du sollst sofort zu ihm in den Saal kommen."

„Sag ihm, dass ich nicht will", erwiderte Djoser schlicht, ohne sich merklich zu bewegen.

„Es war keine Bitte, sondern ein Befehl", wies Peter ihn auf Noels Worte hin.

Eine Mischung aus Enttäuschung und Furcht lag in Djosers Gesicht, als er auf diese Worte hin zu Peter aufsah.

„Ich denke, es ist wichtig", fügte Peter noch hinzu, um dem ganzen Nachdruck zu verleihen.

„Was will er von mir?", fragte Djoser nach, da er sich im Moment vor nichts mehr fürchtete, als sich der Realität zu stellen und wieder unter Leute zu gehen.

Peter überlegte kurz, ob er Djoser von dem Parley erzählen sollte, und antworte dann: „Das siehst du dir besser selbst an."

Eine Weile dachte Djoser darüber nach und suchte nach einer triftigen Ausrede, bis Peter erneut drängte: „Er sagte: Sofort."

Dann endlich erhob sich Djoser, um sich dem Willen seines Sirus’ zu beugen. Peter folgte seinem Bruder, der mit nur einer einfachen Jogginghose und einem langärmligen Shirt bekleidet, in den Saal ging.

Als Djoser sah, wer alles in dem Raum war und ihn nun mit mitleidvollen Augen musterte, zögerte er zunächst, bevor er widerwillig an seinen Sirus herantrat und mit einem demütigen Blick zu Boden fragte: „Du wolltest mich sehen?" Er nahm den üblen Gestank ihm Raum sehr wohl wahr, doch er vermied es, woanders hinzusehen, als zu seinem Sirus und zu Boden, weshalb er den Jungen noch nicht entdeckt hatte.

Noel zögerte seine Worte noch hinaus, aus Angst, ob dies wirklich eine gute Entscheidung wäre, bis er endlich sagte: „Ich habe entschieden, diesen Jungen bei uns als Parley aufzunehmen. Ich ernenne dich deshalb hiermit zu seinem Schalnar. Sorge dafür, dass er bald für das Aufnahmezeremoniell bereit ist."

Verwirrt blickte Djoser zunächst zu Noel auf und folgte dann dessen deutender Hand auf den zusammengekauerten und zitternden Körper am Boden. Erst jetzt wurde ihm die Quelle dieses schrecklichen Gestanks bewusst. Der erbärmliche Anblick vor ihm erregte Übelkeit in ihm, weshalb er sein Gesicht mit zusammengekniffenen Augen abwandte.

Sich seiner Aufgabe nun bewusst, zog er sein Shirt aus, um es Peter zuzuwerfen. Er mochte das Shirt und wollte es ungern wegwerfen müssen. Plötzlich verloren alle anderen Personen im Raum an Bedeutung und er konzentrierte sich nur noch auf seine Aufgabe. Näher an den Jungen herantretend, sagte er mit festem Ton: „Setz dich auf deinen Hintern", worauf dieser sofort reagierte und sich wie angeordnet mit dem Hintern auf den Boden setzte.

Stechend blaue Augen blickten nun ängstlich zu Djoser auf. Diesem Blick ausweichend, griff er rasch nach dem Jungen, sodass er einen Arm am Rücken und den anderen unter dessen Knie hatte. So nah an dem Körper des Jungen war der Geruch nun noch intensiver, weshalb er sein Gesicht abzuwenden versuchte, was aber nichts brachte. Auf diese Weise trug er den Jungen rasch hinaus.

Edmond konnte sich nun nicht länger zurückhalten und fragte fassungslos: „Wollen Sie den armen Jungen wirklich diesem Vampir überlassen, wo dieser eine so deutliche Abneigung gegen ihn hat? Er braucht dringend ärztliche Versorgung!"

„Dieser Vampir ist zufällig mein Sohn und erster Centra des Clans. Und selbst wenn er nicht diesen Rang hätte, könnte ich mir niemanden vorstellen, der besser für den Jungen sorgen könnte! Und auch was die ärztliche Versorgung betrifft, ist er bei uns in guten Händen", erwiderte Noel sichtlich erzürnt über Edmonds unhöfliches Verhalten.

„Er wollte ihn nicht einmal ansehen!", betonte Edmond unbeeindruckt von Noels Wut.

Noel hatte im Moment keine Geduld für Edmond, weshalb er bittend zu Peter blickte, welcher ihm verstehend zunickte. Dann verließ er den Saal und mit ihm auch alle anderen Vampire, bis auf Peter, der sich auf eine Diskussion mit Edmond gefasst machte.

Der Doktor war über das wortlose Verschwinden Noels gekränkt, auch wenn er ahnte, dass Peter ihm seine Fragen nun beantworten würde, weshalb er sich mit verschränkten Armen aufstellte und beleidigt dreinschaute.

„Djosers Abneigung galt nicht dem Jungen, sondern dem starken Geruch, der von dem Jungen ausging", erklärte Peter ruhig.

„Nun gut, ich gebe zu, der Ärmste war sehr schmutzig, aber dies ist noch lange kein Grund, sich so zu verhalten", beharrte Edmond auf seinem Standpunkt.

„Will ein Vampir sicherstellen, dass niemand sein Eigentum von ihm nimmt, markiert er es mit seinem eigenen Geruch. Innerhalb eines Clans kann jeder Vampir jeden allein an dessen Körpergeruch erkennen. Sogar jeden einzelnen Mora. Jeder Clan besteht aus einer Blutlinie, weshalb der Geruch eines anderen Clans stark von dem eigenen abweicht. Um sicherzustellen, dass jeder Vampir sofort erkennt, dass es sich um ein Parley handelt, wird dieses besonders sorgfältig mit dem clantypischen Duft versehen. Und nichts hinterlässt eine stärkere Duftnote als Sperma. Der Junge war über und über mit Vampirsperma beschmutzt und ich wette, da war auch noch einiges an Ausscheidungen des Jungen mit dabei."

Edmund wurde kreidebleich, als er Peters Erklärung hörte und zum ersten Mal wollte er ganz gewiss nicht noch mehr davon hören. Entsetzt meinte er nur: „Das ist widerwärtig."

„Da gebe ich Ihnen vollkommen Recht. Das ist es wirklich. Und das ist auch ein Grund, warum Djoser so abweisend reagiert hatte. Auch wir empfinden es schrecklich grausam, wie mit dem Jungen umgegangen wurde. Kein Altair und auch kein Antares würde einen Parley auf solche Weise zurichten, das müssen Sie mir glauben. Ich kenne die Volganer nicht, aber ich bin sicher, sie sind nicht ohne Grund Feinde der Antares. Nicht alle Vampire sind gleich."

„Was wird nun mit ihm geschehen?", wollte Edmond wissen.

„Wir werden ihn bei uns aufnehmen und gesund pflegen", gab Peter nur wenig von den weiteren Geschehnissen preis, und fügte hinzu: „Und nun entschuldigen Sie mich bitte. Ich will sehen, ob Djoser Hilfe bei seiner Aufgabe braucht." Und damit entschuldigte er sich bei Edmond und ließ diesen allein im Saal stehen.

Erst als Peter aus dem Saal gegangen war, erinnerte sich Edmond, dass dieser ihm sein Zimmer hätte zeigen sollen. Ein wenig hilflos stand er deshalb nun herum und wusste nicht, wohin er gehen sollte. Schließlich entschied er, den Saal ebenfalls zu verlassen, in der Hoffnung, dass er jemanden finden würde, der ihm sein Zimmer zeigen könnte.

 

*****

 

Stumm trug Djoser den Jungen durch den Gang. Dieser hatte schreckliche Angst und wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Seine Hände in seinem Schoß haltend, um seine nackte Männlichkeit zu schützen, fürchtete er sich falsch zu bewegen, weshalb er sich vollkommen in Djosers Armen verkrampfte.

„Hab keine Angst. Ich werde dir nichts tun", sprach Djoser sanft. Daraufhin wagte der Junge es, zu ihm aufzublicken. Als Djoser dessen Blick kurz erwiderte, trafen ihn ängstliche blaue Augen, in denen ein schwacher Hoffnungsschimmer lag.

Mit seinem Ellbogen öffnete Djoser die Türe zu dem luxuriösen Badezimmer, das ein zentraler Erholungsort für alle Vampire des Clans war. Hier gab es ein Dampfbad, eine Sauna, einen großen Pool und einen kleineren Whirlpool. Wie erwartet, war im Moment niemand anwesend, worüber Djoser froh war. Als er mitsamt dem Jungen durch die Türe trat, zuckte dieser heftig zusammen und wimmerte voller Schmerzen auf, da seine Beine den Türstock berührt hatten.

Verwirrt warf Djoser einen Blick auf die Beine des Jungen, doch er konnte die Ursache für dessen Schmerz nicht genau erkennen. Vorsichtig setzte er den Jungen auf den Fliesenboden ab und sah sich dann dessen Beine genauer an. Der Junge widersetzte sich nicht im Geringsten und half Djoser sogar, indem er artig das Bein hob, obwohl es ihm Schmerzen bereitete. Erst dann erkannte Djoser den genauen Grund dafür.

An seinem rechten Fuß hatte der Junge zwischen Knochen und Achillessehne einen Eisenring der sich direkt durchs Fleisch bohrte und die Achillessehne umschloss. Das Fleisch um den Einstich war entzündet. Jede noch so kleine Bewegung musste ihm höllische Schmerzen verursachen. An dem Eisenring war noch ein kurzer Rest einer Kette angeschweißt. Wie es schien, hatte man ihm diesen Ring verpasst, um sicher zu stellen, dass er nicht fliehen würde.

Djoser schluckte schwer, während er überlegte, wie er diesen Ring entfernen könnte. Vorsichtig legte er den Fuß auf dem Boden zurück und ermahnte den Jungen mit strengem Ton: „Du bleibst hier und rührst dich nicht von der Stelle. Hast du verstanden?"

Sofort nickte der Junge energisch, womit Djoser zufrieden war. Dann ließ er den Jungen allein im Bad zurück, um nach einem geeigneten Werkzeug zu suchen.

Als Djoser ein paar Minuten später zurückkam, war er erst verärgert, als der Junge nicht mehr dort saß, wo er ihn verlassen hatte, doch dann stellte er erleichtert fest, dass dieser sich nur weiter zurück an die Wand verkrochen hatte. Und gleich darauf bemerkte er auch den Grund für dessen Flucht, denn sie waren nicht mehr alleine im Bad.

„Hab mich schon gefragt wo du bist?", meinte Peter, der mit einem frechen Grinsen auf dem erhöhten Beckenrand des Whirlpools saß.

„Ich hab nach Werkzeug gesucht", erklärte Djoser und warf Peter eine eckige Plastikflasche zu.

„Werkzeug? Denkst du, der Junge hat ’ne Schraube locker?", witzelte dieser, während er einen guten Schuss von der Flüssigkeit in das ruhige Wasser des Pools kippte.

Darüber konnte Djoser im Moment nicht lachen. Mit langsamen Bewegungen ging er vor dem Jungen in die Hocke, wobei ihm sofort eine schwache verschmierte Blutspur auffiel, die der Junge auf den Fliesen hinterlassen hatte. Er legte die kleine Werkzeugtasche zur Seite, welche er extra geholt hatte, und griff erneut nach dem Bein des Jungen. Dieser half Djoser wieder, indem er mit der Bewegung mitging. Djoser wollte nach der Wunde suchen, welche die Blutspur verursacht hatte, weshalb er das Bein weiter nach oben anhob. Der Junge bekam es sofort mit der Angst zu tun, wehrte sich aber nicht, sondern legte sich mit dem Oberkörper zurück und öffnete bereitwillig seine Schenkel weiter, wodurch Djoser einen Blick auf dessen Kehrseite werfen konnte. Dort entdeckte er die Ursache für die Blutspur. Sanft berührte er den Jungen dort an seiner intimsten Öffnung, die sichtbar blutverkrustet war, worauf der Junge leise wimmerte, sich jedoch noch immer in keiner Weise wehrte. Er kniff nur die Augen fest zu und machte sich innerlich auf das Schlimmste gefasst.

Tief durchatmend, legte sich Djoser das Bein des Jungen auf seinen Oberschenkel und kramte in der Werkzeugtasche nach einer Zange, die stark genug wäre, um den Ring zu durchbrechen.

Neugierig näherte sich Peter, um zu erkennen was Djoser mit dem Jungen machte, und fragte: „Was hast du mit der Zange vor?"

„Damit will ich diesen Ring loswerden", kommentierte Djoser und deutete dabei auf den Fuß des Jungen.

„Autsch!", meinte Peter nur, als er den besagten Ring sah.

„Ganz recht. Das wird jetzt etwas wehtun", sprach Djoser sanft zu dem Jungen, welcher ihn nun mit großen ängstlichen Augen ansah.

Peter wollte dies nicht mit ansehen und ihm fiel außerdem noch etwas ein, das er holen wollte, weshalb er sich rasch abwandte und aus dem Bad ging.

Möglichst ohne langes Getue, um es schnell hinter sich zu bringen, legte Djoser die Zange an und durchtrennte das Eisen. Damit Djoser den Ring herausdrehen konnte, musste er diesen an einer weiteren Stelle durchtrennen. Dann endlich konnte er das Eisen aus der entzündeten Wunde drehen. Trotz großer Schmerzen, gab der Junge keinen Laut von sich, worüber Djoser sehr beeindruckt war.

„Du bist sehr tapfer, Kleiner. Wie heißt du?"

„Jermyn", antworte der Junge mit ängstlicher Stimme.

„Fein. Mein Name ist Djoser. Ab jetzt werde ich für dich sorgen. Du brauchst keine Angst vor mir haben", erklärte Djoser freundlich.

Äußerlich zeigte Jermyn keinerlei Reaktion auf diese Worte, doch in seinen Augen keimte erneut ein kleiner Hoffnungsfunke.

Anschließend durchtrennte Djoser mit der Zange gleich noch das schäbige Lederhalsband, das Jermyn um den Hals trug. Dabei verhielt dieser sich wieder ganz still und war sehr erleichtert, als das enge Leder verschwunden war, doch er machte sich keinerlei Illusionen darüber, nie wieder ein Halsband zu tragen. Er war sich voll bewusst, dass diese Vampire hier, ihn ebenfalls als Parley behalten wollten und er wusste, was dies für ihn bedeuten würde. Seine einzige Chance, weniger Schmerzen durchleiden zu müssen, sah er darin, sich nicht zu wehren und alles zu tun, was man von ihm verlangte.

Peter kam zurück und hatte eine Wasserflasche bei sich, die er dem Jungen vor die Nase hielt. Er hatte vermutet, dass der Junge vielleicht Durst haben könnte, schließlich war es wichtig für Menschen genug Flüssigkeit zu trinken, doch anstatt die Flasche entgegenzunehmen, blickte Jermyn fragend zu Djoser.

„Hast du keinen Durst?", fragte Peter verwirrt und wollte die Flasche bereits zurückziehen, bis Djoser erkannte, worin das Problem lag und zu Jermyn sagte: „Du kannst sie ruhig nehmen, wenn du Durst hast."

Sogleich griff Jermyn nach der Flasche, öffnete diese und trank in gierigen Schlücken. Er hatte sehr großen Durst. In seinem Gefängnis im Keller hatte man ihm nur einen Eimer gefüllt mit Leitungswasser gegeben, von wo er schon vor fast zwei Tagen den letzten Schluck Wasser ausgeleckt hatte.

„Schlaues Kerlchen. Er hat wohl geschnallt, dass du sein neuer Schalnar bist", kommentierte Peter das Verhalten des Jungen.

Als Jermyn die Flasche leer getrunken hatte, fragte Djoser: „Willst du noch mehr?"

Vorsichtig nickte Jermyn bejahend und reichte die leere Flasche zurück.

„Okay ich hol noch welches", meinte Peter, während er sich die leere Flasche schnappte und das Badezimmer verließ, um neues Wasser zu holen.

Währenddessen begann Djoser eine dicke zähe Salbe in die entzündete Wunde an Jermyns Fuß zu reiben. Die Salbe bestand aus einer geheimen Rezeptur der Vampire, die auch bei Menschen für eine schnellere Wundheilung sorgte und dank spezieller Kräuter sehr stark Schmerz hemmend wirkte. Jermyn hielt tapfer still, ohne auch nur einen Mucks von sich zu geben.

Kurz darauf kam Peter mit zwei gefüllten Wasserflachen und einer Flasche Limonade zurück, die er freundlich lächelnd neben Jermyn auf den Boden stellte.

„Woher hast du das Zeug eigentlich?", fragte Djoser nach, da Vampire außer Blut keinerlei Nahrung oder Flüssigkeit zu sich nahmen.

„Ich hab es Karen geklaut", antwortete Peter mit einem breiten Grinsen.

Dies entlockte Djoser nun doch ein leichtes Lächeln, während er meinte: „Und dann wunderst du dich wieder, wenn sie dir eine Ohrfeige gibt, wo du sie doch ständig ärgerst."

„Die Kleine hat es nicht anders verdient. Dieses freche Biest hat nicht mal einen Finger gerührt, als Mateo mich beschuldigte, ich hätte sein Mädchen angefasst. Dabei war sie es, die mich angefasst hatte! Ich war zu dem Zeitpunkt gar nicht in der Lage dazu, weil meine Hände gefesselt waren! Und von der Ohrfeige will ich gar nicht erst sprechen", beschwerte sich Peter vehement.

Über seinen Bruder amüsiert, grinste Djoser, während er sich vollkommen nackt auszog und den Jungen erneut sachte vom Boden hochhob. Jermyn wehrte sich nur halbherzig dagegen, indem er nur ganz wenig auszuweichen versuchte, da der Anblick eines nackten Vampirs ihn in Panik versetzte. Er wagte nicht, sich mehr zu wehren, da er bisher bei jedem noch so kleinen Versuch hart bestraft worden war.

Dies war für Djoser nicht zu übersehen, weshalb er sich sehr bemühte seine Bewegungen langsam auszuführen, um den Jungen nicht zu erschrecken.

Mit Jermyn im Arm stieg er dann in den kleinen Pool, wo er sich ganz langsam ins warme Wasser setzte. Gleich darauf folgte Peter ihm ohne weitere Kommentare. Djoser war Peter für seine unaufgeforderte Hilfe sehr dankbar. Er liebte seinen Bruder und wusste, dass er sich auf ihn verlassen konnte. Egal worum es ging. Und er wusste genau, dass Peter in Situationen wie dieser auch durchaus in der Lage war, seine vorlaute Klappe zu halten.

Der Junge wusste nicht, was die beiden Vampire mit ihm vorhatten und weshalb sie ihn mit in den Whirlpool nahmen. Deshalb verkrampfte er sich erneut und wünschte sich, er hätte etwas, woran er sich festklammern könnte, da er mit jedem Augenblick damit rechnete, dass die Vampire ihn unter Wasser tauchen würden.

Peter testete das Wasser, indem er seine nassen Finger mit der Zunge berührte und meinte ernst: „Ich tu lieber etwas mehr rein. Schadet bestimmt nicht."

„Danke", erwiderte Djoser und beobachtete seinen Bruder, wie dieser erneut nach der eckigen Flasche griff und mehr von der Flüssigkeit ins Wasser gab. Dies war ebenfalls eine Rezeptur der Vampire, welche entzündungshemmend wirkte und die Heilung von offenen Wunden förderte.

Nachdem Jermyn noch immer völlig verkrampft war, sagte Djoser einfühlsam: „Entspann dich. Wir tun dir nichts."

Ganz allmählich beruhigte Jermyn sich ein wenig, nachdem er merkte, dass tatsächlich nichts Schlimmes geschah.

Das Wasser alleine machte allerdings noch keinen saubern Jungen aus Jermyn. Während Peter unaufgefordert nach einem weichen Schwamm griff, redete Djoser sanft auf ihn ein: „Du brauchst keine Angst vor Peter haben. Er ist mein Bruder. Er wird dich nur waschen, nicht mehr. Ich werde dich halten."

Jermyn kämpfte darum, die Ruhe zu bewahren, als Peter sich mit dem Schwamm näherte. Behutsam fing dieser an, erst Jermyns Arme und dessen Brust zu säubern, wobei er den Jungen ordentlich einseifte. Djoser achtete währenddessen darauf, den Jungen sicher in seinen Armen zu alten, damit er nicht aus Versehen unters Wasser tauchen würde, doch die Sorge war vollkommen unbegründet, denn trotz seiner großen Angst, bewegte Jermyn sich kaum.

Mit viel Liebe und Sorgfalt wusch Peter den Jungen am ganzen Körper. Auch an den privaten Stellen, wobei dieser sich erstaunlich ruhig verhielt. Langsam fasste Jermyn Vertrauen zu Djoser, weshalb er sich fester gegen dessen Brust drückte, wenn eine zu plötzliche Bewegung von Peter ihn erschreckte. Auf diese Weise wurde allmählich wieder ein sauberer Junge aus Jermyn und die Vampire stellten erstaunt fest, dass unter der dicken Schmutzschicht ein hübsch anzusehender junger Mann verborgen war.

Neben den strahlend blauen Augen, die selbst Joshuas Augen Konkurrenz bieten konnten, hatte der Junge ein hübsches Gesicht, das momentan von kurzen nassen Haaren umrundet war. Er besaß eine sehr jungendliche und unschuldige Ausstrahlung, die äußerst anziehend auf die Vampire wirkte, doch deren Instinkt sagte ihnen, dass der Junge nicht so jung war, wie er aussah und in dessen Augen konnte man deutlich erkennen, dass er einige Jahre Schmerz hinter sich hatte.

 

*****

 

Nachdem es ihr gelungen war, Zaida zu belauschen, während diese Nathaniel von den neuen Ereignissen erzählt hatte, machte sich Karen auf die Suche nach Djoser. Sie hatte ihren Plan, erste Centra zu werden, noch lange nicht in den Wind geschlagen. In den letzten beiden Tagen war es ihr unmöglich gewesen Djoser zu sehen, da dieser sich in Noels Zimmer verkrochen hatte, also wollte sie nun die Gelegenheit nützen und eine zufällige Begegnung vortäuschen.

Sie überlegte sich bereits die Worte, die sie ihm sagen könnte, als sie, während sie den großen Hauptraum durchqueren wollte, den Doktor in dem großen gemütlichen Sessel sitzen sah.

Er hatte sie noch nicht bemerkt, weshalb er etwas erschrak, als sie ihn warnte: „An deiner Stelle würde ich mich nicht dort hinsetzen."

Unsicher blickte er zu der jungen Dame um und fragte: „Und warum nicht, wenn ich fragen darf?"

„Der Stuhl ist wichtig für die Vampire. Hat irgendwas mit ihren Nachkommen zu tun, glaub ich. Weiß es nicht mehr so genau. Aber ich weiß, dass nur ein Mitglied der Rangorder dort sitzen darf", erklärte sie ihm schnippisch.

Peinlich berührt erhob sich Edmond rasch aus dem Sessel und blickte sich suchend um, ob auch keiner der Vampire ihn gesehen hatte. Da Karen noch eine wichtige Aufgabe zu erledigen hatte, achtete sie nicht weiter auf den Doktor, sondern ging weiter ihres Weges.

„Halt warten Sie! Sie sind doch die junge Frau, die ich bei den Antares gesehen habe. Sie sind ein Mensch, nicht wahr?", hielt Edmond sie auf.

Karen musste erneut darüber schmunzeln, dass der Doktor sie so höflich ansprach, und fragte: „Warum sprichst du mich mit „Sie" an?"

„Nun, das ist so üblich unter Leuten, die sich nicht kennen. Man spricht nicht unerlaubt jemanden mit „Du" an. Das ist unhöflich", erklärte Edmond genauer.

„Unter Vampiren ist das nicht so", meinte Karen simpel.

„Sie sind aber kein Vampir", hakte Edmond nach, während er näher an die junge Dame herantrat.

„Das werde ich aber bald sein."

Entsetzt blickte ihr Edmond entgegen und fragte: „Ist das Ihr ernst? Will Mateo Sie töten?"

„Aber nein. Mateo hat bereits drei Nachkommen. Djoser wird mich zum Vampir machen. Das heißt, erst muss ich ihn noch dazu bringen, dass er das tut, aber ich bin sicher, ich werde ihn überzeugen können", meinte Karen selbstsicher.

„Gutes Kind, warum um Himmels willen wollen Sie ein Vampir werden?", fragte Edmond verständnislos. Nach allem, was er mittlerweile von den Vampiren wusste, gehörte es gewiss nicht zu seinen Wünschen ein solcher zu werden, und er konnte sich auch nicht vorstellen, wie ein anderer Mensch dies wollte.

„Ich bin schon längst kein Kind mehr! Ich bin schon einundzwanzig! Ich weiß genau, was ich will und werde es bekommen!", protestierte Karen beleidigt und stapfte davon.

„Warten Sie! Wissen Sie, wo ich Peter finde?", eilte Edmond ihr nach. Denn noch immer hatte er keine Ahnung, wo sein Zimmer war, oder ob er gleich oben in dem Haus einziehen könnte, geschweige denn, wie er überhaupt dort oben hinauf gelangte.

„Ich schätze, er wird bei Djoser sein. Die beiden sind ja so gut wie unzertrennlich", stöhnte Karen.

„Und wo finde ich Djoser?"

„Wenn ich das wüsste, wäre ich bereits dort!", keifte sie genervt zurück.

„Ah, ich verstehe, Sie sind also gerade auf der Suche nach ihm. Dann werde ich Sie begleiten", stellte Edmond zufrieden fest und folgte ihr mit raschen Schritten.

Grummelnd fragte Karen nach: „Du kennst mich doch jetzt, warum sprichst du mich noch immer mit „Sie" an? Und ist es unter den Menschen nicht unhöflich, wenn man einer Dame nachläuft? Unter Vampiren ist es das!"

„Da du dich keineswegs wie eine Dame verhältst, sondern eher wie ein verzogenes Kind, kann ich dir auch nachlaufen und wenn es dich stört, verzichte ich gerne auf die höfliche Anrede, denn du scheinst solche Anstandsregeln noch nicht einmal gelernt zu haben", schoss Edmond ebenso schroff zurück wie Karen.

Fassungslos blieb Karen der Mund offen stehen. Sie fühlte sich in ihren Gefühlen verletzt, weshalb sie beleidigt abdampfte und den Doktor fortan ignorierte.

 

*****

 

Nachdem Noel sich von Thomas die Stelle zeigen ließ, an der sie den Jungen gefunden hatten, betrat er, wie zuvor vereinbart, das Zimmer, in dem Zaida und ihr Loraib einquartiert waren. Nathaniel war gerade dabei seiner Geliebten mit geschickten Händen den Rücken zu massieren, weshalb Zaida mit entblößtem Oberkörper auf dem Bett lag.

„Und? Konntest du etwas entdecken?" fragte Zaida interessiert nach, als sie Noels Gegenwart bemerkt hatte, ohne zu ihm aufzublicken.

„Nein. Gar nichts. Keinerlei Hinweise, wie der Junge dort hingelangte und auch keine Spur von Volganern. Was denkst du? Glaubst du Altair hat ihn dort gefangen gehalten?" Auch wenn Noel der Centra von Altair war, so war ohne Zweifel klar, dass Zaida seinen Sirus besser einschätzen konnte, als er.

„Schwer zu sagen. Ich habe ihn eigentlich nicht für so dumm gehalten. Aber es wäre ihm zuzutrauen. Wir werden abwarten müssen, bis der Junge sich eingelebt hat. Ich bin sicher dann kann ich auch einen Blick in seine Gedanken werfen", meinte Zaida zuversichtlich.

„Denkst du es wäre dann nicht besser auf das Aufnahmeritual zu verzichten? Dies könnte ihn verstören", fragte Noel nach.

Nun erst wandte Zaida ihrem Kopf herum, um Noel ansehen zu können und erwiderte: „Er ist, was er ist und wird es für immer bleiben. Indem du ihn mit Samthandschuhen anfasst, wirst du ihn nicht wieder zum Menschen machen, und das weißt du. Ich kenne die Volganer. Ihr Hass auf die Menschen ist unerschöpflich. Sie haben gewiss kein Mittel ungenutzt gelassen, um den Jungen zu brechen. Und du weißt zu welchen Mitteln Vampire fähig sind. Wenn du willst, dass sich der Junge erholt, dann gib ihm ein sicheres Zuhause und einen festen Platz im Leben. Mach ihn zu eurem Parley und zeig ihm was es heißt Parley der Altairs zu sein."

 

*****

 

Jermyn lag nun in Peters Armen, während Djoser sich selbst den Gestank vom Körper wusch. Dort fühlte der Junge sich nicht so wohl. Er verkrampfte sich wieder und kniff die Augen vor Angst zu.

Als Djoser fertig war, meinte er zu seinem Bruder: „Du kannst ihn mir wieder geben."

„Ja gerne, bevor er noch einen Herzinfarkt bekommt", kommentierte Peter scherzend, während er Jermyn wieder an Djoser übergab. Dieser fragte sich erst, was Peter damit meinte, doch als er dann Jermyns heftiges Herzklopfen bemerkte, verstand er den Kommentar.

„Hey, ist ja gut, wovor hast du so Angst? Niemand tut dir etwas", redete Djoser beruhigend auf ihn ein.

Jermyn war sichtlich erleichtert, wieder von Djoser gehalten zu werden und auch sein Herzschlag beruhigte sich wieder, während er sich erschöpft gegen Djosers Brust lehnte.

„Ich fürchte, ich bin der Grund, weshalb er Angst hat", gab Peter zurückhaltend zu.

„Huh? Wieso?", fragte Djoser verwirrt.

„Im diesem Whirlpool sitze ich für gewöhnlich nicht allein, um zu baden, das solltest du doch wissen. Ich kann nichts dafür, dass mein Körper sich hier wohl fühlt und auf gewisse Dinge reagiert."

Nun verstand Djoser genau, was Peter damit meinte und weshalb Jermyn so ängstlich reagiert hatte. Er konnte seinem Bruder jedoch deshalb nicht böse sein, schließlich war dies eine normale Reaktion, und hätte er vor kurzem nicht so eine schlimme Zeit in Altairs Gewalt erlebt, hätte sein Körper vermutlich ebenso reagiert.

Mit einem amüsierten Lächeln schüttelte er nur den Kopf, um dann mit Jermyn im Arm aus dem Whirlpool zu steigen. Peter folgte ihnen mit einem schlechten Gewissen und versuchte es wieder gutzumachen, indem er für sie beide sogleich ein großes Handtuch bereithielt.

Er legte es auf den Boden, wo Djoser dann den Jungen absetzte und sie ihn dann gemeinsam sachte trocken rubbelten. Jermyn war so viel freundliche Aufmerksamkeit nicht gewohnt. Jeden Augenblick rechnete er damit, dass etwas Schlimmes passieren würde, weshalb er die beiden Vampire argwöhnisch im Auge behielt.

Als Jermyn einigermaßen trocken war, nahm sich Djoser erneut das Bein vor und verteilte frische Salbe darauf, wodurch die starken Schmerzen deutlich nachließen. Anschließend reichte Peter seinem Bruder etwas Verbandszeug, womit dieser dann den Fuß sorgfältig einbandagierte.

Danach cremten beide Vampire Jermyns Körper mit einer pflegenden Feuchtigkeitslotion ein und suchten dabei gleichzeitig nach bisher unentdeckten Wunden. Für Jermyn war es sehr ungewöhnlich, als geschickte Hände seinen ganzen Körper massierten. Trotz seiner Angst, erlaubte er sich, diese Aufmerksamkeit zu genießen. In seinem Leben hatte er inzwischen gelernt, jede noch so kleine Annehmlichkeit zu schätzen.

Bis auf einige blaue Flecke und ein paar Kratzer entdeckten die Vampire keine schwerwiegenden Verletzungen mehr. Abschließend hob Djoser dem Jungen erneut den Schenkel weit nach oben, damit er an dessen wunde Öffnung herankommen würde.

Nun schien es endlich so weit zu sein, dass die Vampire sich an ihm vergreifen wollten, dachte sich Jermyn letztendlich und bereitete sich innerlich auf den Schmerz vor. Ganz so, wie man es ihm auf unerbittliche Weise gelernt hatte, wehrte er sich nicht, sondern spreizte bereitwillig seine Beine. Ein leises Wimmern konnte er jedoch nicht verhindern und er zuckte leicht zusammen, als er die mit Creme befeuchteten Finger von Djoser an seiner Öffnung spürte. Es war nicht die Tatsache, dass ihn jemand dort berührte, die ihn ängstigte. Auch der bevorstehende Akt an sich belastete ihn nicht. Dies war er inzwischen gewohnt. Es waren die Schmerzen, vor denen er sich fürchtete. Als er dann jedoch merkte, dass der Vampir nur die gleiche wohltuende Salbe auf seine wunden Stellen auftrug, war Jermyn verwundert und erleichtert zugleich.

Während Peter wieder in seine Sachen schlüpfte, wickelte Djoser den Jungen in das große Handtuch ein und hob ihn wieder vom Boden auf. Er selbst machte sich nicht die Mühe, seine Nacktheit zu bedecken. Es gab für ihn keinen Grund, sich zu schämen, da es kein Clanmitglied gab, das, ihn noch nie nackt gesehen hätte und außerdem hatte er seine Hose weggeworfen, weil diese nun beschmutzt war.

Peter schnappte sich noch rasch die Getränkeflaschen, die er sich für Jermyn geborgt hatte, und gemeinsam wollten sie anschließend das Bad verlassen. Allerdings kamen sie nicht weiter als bis zur Türe, da ihnen dann plötzlich zwei Menschen gegenüberstanden.

„Hey! Das sind meine Flaschen, du Dieb!", schimpfte Karen sofort auf Peter ein.

Seinen Bruder sofort in Schutz nehmend, sagte Djoser: „Das ist meine Schuld. Ich habe Peter gebeten, für Jermyn etwas zu Trinken zu besorgen. Wir werden dir die Flaschen später ersetzen. Bitte entschuldige, dass wir dich nicht gefragt haben."

Als Karen dies hörte, schwenkte sie sofort um und blinzelte Djoser lieblich entgegen, während sie anfing nervös zu plappern: „Kein Problem. Ich hab genug davon. Wenn du noch mehr brauchst, sag einfach bescheid. Ich kann dir welche bringen! Ich kann Jermyn auch Gesellschaft leisten, wenn du es willst. Ich kann gut mit Jungs umgehen." Wobei sie mit ihrer letzten Aussage ihre zahlreichen Flirterfolge mit den jungen Herren an der Bar meinte, denen sie bei ihren unerlaubten nächtlichen Streifzügen gelegentlich begegnete. Direkt an Jermyn gerichtet, fügte sie noch hinzu: „Hallo Jermyn, ich heiße Karen. Wie alt bist du?"

Jermyn war mit dem aufgeregten Geplapper der jungen Damen total überfordert. Er wusste nicht, ob er ihr antworten durfte, weshalb er fragend zu Djoser blickte, welcher ihm bestätigend zunickte.

„Neunzehn", antworte Jermyn knapp.

„Hey, dann bist du beinahe so alt wie ich! Ich bin einundzwanzig. Wie lange bist du schon ein Parley?", fragte Karen nach und betonte dabei bewusst ihr Alter, damit Djoser es ganz bestimmt mitbekommen würde.

„Drei Jahre", antwortete Jermyn verwundert. Ihm kam es total abstrakt vor, wie Karen danach fragte, wie lange er bereits ein Parley sei. Ganz so, als wäre das eine tolle Sache, obwohl es für ihn die reinste Hölle war.

Djoser bemerkte Jermyns Unbehagen und ihm gefiel auch die komische Fragerei nicht, weshalb er einlenkte: „Bitte entschuldigt uns. Er muss sich jetzt ausruhen."

Sich als einzige angesprochen fühlend, antwortete Karen weiter zu Jermyn: „Okay, ich verstehe es, wenn du müde bist, aber wie wär’s mit später? Hast du nicht Lust, später mit mir zu spielen?"

Karen sah in Jermyn eine Möglichkeit, Djoser etwas näher zu kommen, weshalb sie sich bei ihm einschmeicheln wollte. Als Jermyn jedoch das Wort „Spielen" hörte, blickte er sofort mit einem flehenden Blick zu Djoser, um ihn stumm anzubetteln, dass er ihn davor bewahren würde. In den letzten Jahren, in denen er unter den Volganer Vampiren gelebt hatte, war der Begriff „Spielen" gleichbedeutend für endlose Folter und Vergewaltigungen gewesen.

Natürlich merkte Djoser, dass Jermyn dies sehr beunruhigte, weshalb er zu Karen einfach meinte: „Später wird er keine Zeit haben."

„Oh, ja klar. Später findet ja Altairs Bestattungszeremonie statt. Hätte ich beinahe vergessen", erwiderte Karen unbedacht.

Schmerz zog sich durch Djosers Inneres, als Karen ihn genau an das erinnerte, was er schon seit einiger Zeit krampfhaft zu verdrängen versuchte. Er hatte extra darum gebeten, dieser Zeremonie nicht beiwohnen zu müssen und war froh, dass Noel damit einverstanden war. Dank seiner neuen Aufgabe als Schalnar, hätte er es beinahe geschafft, es zu ignorieren.

Er wollte sich nicht noch länger mit diesem lästigen Mädchen abgeben, weshalb er einfach ohne ein Wort davonging.

Peter konnte es sich jedoch nicht verkneifen an sie heranzutreten und ihr zu ihrem Erfolg zu gratulieren: „Toll hast du das gemacht. Du bist wirklich das unsensibelste Wesen, das mir je begegnet ist."

„Wieso? Was habe ich denn gemacht?", fragte Karen, sich ihrer Tat nicht bewusst.

Peter verdrehte nur die Augen und wandte sich ab, um Djoser zu folgen. Bevor er jedoch gehen konnte, hielt Edmond ihn rasch auf und bat noch: „Ähm Peter, wären Sie bitte so freundlich und würden mir zeigen, wo ich mich einquartieren darf?"

„Ach verdammt, das hab ich vollkommen vergessen. Kommen Sie mit, ich zeig Ihnen Ihr Zimmer. Sie bleiben noch ein paar Tage hier unten bei uns, bevor Sie oben im Haus einziehen können", erklärte Peter entschuldigend und wartete, bis Edmond ihm folgte, um ihm dann sein Quartier zu zeigen.

 

*****

 

Es überraschte Djoser nicht, Joshua im Bett liegend vorzufinden. Solange Zaida und ihre beiden Nachkommen Gäste bei den Altairs waren, schliefen die Brüder gemeinsam bei Noel im Zimmer.

Joshua hingegen war sehr überrascht, als Djoser mit einem jungen Mann im Arm auf ihn zukam. Interessiert fragte er: „Kann es sein, dass ich irgendetwas Wichtiges versäumt habe?"

Djoser schmunzelte leicht, während er Jermyn samt Handtuch ins Bett steckte, wobei Joshua ihm helfend die Decke anhob. Er freute sich bereits auf das erstaunte Gesicht, das nun gleich kommen würde, und erklärte: „Darf ich vorstellen, das ist Jermyn, unser zukünftiges Parley." Wie erwartet staunte Joshua sehr darüber und musterte Jermyn mit freundlichen Blicken.

Es war Jermyn unerklärlich, aber aus einem ihm unbekannten Grund fühlte er sich von Joshua nicht bedroht, obwohl dieser mit ihm im selben Bett lag. Dennoch blieb er auf der Hut und verhielt sich so ruhig wie möglich, um die Vampire nicht zu verärgern.

An Jermyn gewandt, fügte Djoser noch erklärend hinzu: „Jermyn, das ist Joshua. Er ist der Loraib von Noel, unserem Clanführer, und damit mein zweiter Bruder." Dies beruhigte Jermyn noch mehr, denn aus seinen Erfahrungen wusste er, dass Loraibs sich nur mit ihrem Sirus vergnügten.

„Ist es unangebracht zu fragen, warum zum Teufel wir ein Parley aufnehmen?", fragte Joshua neugierig nach. Er kannte Noels Einstellung zu Parleys und hätte nie geglaubt, dass sie jemals eins haben würden.

Während Djoser sich aus dem Kleiderschrank eine leichte Stoffhose holte, antworte er: „Genau weiß ich es auch nicht. Peter hat mir nur erzählt, dass Thomas und Michael ihn in unserem Keller gefunden haben."

Von der angenehmen Wärme des Bettes umschmeichelt, wurden Jermyns Augen schwer. Das heiße Bad hatte ihn ermüdet, doch er kämpfte krampfhaft gegen die Müdigkeit an, da er Angst davor hatte, bestraft zu werden. Schließlich hatte man ihn gewiss nicht in dieses Bett gelegt, damit er dort schlafen dürfe. In so einem schönen warmen Bett durfte er früher nur dann liegen, wenn es den Vampiren danach gelüstete seinen Körper zu benutzen. Danach würde man ihm vielleicht endlich seinen neuen Schlafplatz zeigen, wo er mit etwas Glück ein wenig Ruhe genießen könnte.

Als sich die Türe plötzlich öffnete und Noel eintrat, erschrak Jermyn sehr. Der Clanführer der Volganer war der grausamste Vampir von allen gewesen, weshalb er sich automatisch vor Noel fürchtete. Er wollte instinktiv zurückweichen, doch das Handtuch, in das er eingewickelt war, schränkte seine Bewegungen ein, worauf er sich mit hektischen Bewegungen aus seinem Gefängnis flüchtete. In Panik getrieben rutschte er vor Noel zurück, bis er an Joshuas Brust anstieß. Erschrocken blickte er sich um und als er Joshua plötzlich so nah erblickte, sah er sich in der Zwickmühle. Blitzschnell drehte er sich herum und machte sich ganz klein. Seinen Kopf versteckte er in seinen Armen, während er seinen nackten Hintern hoch in die Luft streckte. Dies war die einzige Reaktion, zu der er fähig war, denn es war früher der einzige Weg, einer härteren Bestrafung auszuweichen.

Die drei Vampire waren sprachlos und blickten betroffen auf den zitternden Körper. Djoser näherte sich, während er ruhig auf Jermyn einredete: „Jermyn, sieh mich an. Du brauchst keine Angst zu haben. Niemand tut dir etwas."

„Sein Name ist Jermyn? Er hat also mit dir gesprochen?", fragte Noel interessiert nach.

„Bis eben war er noch ganz ruhig und hat auch geantwortet, wenn ich ihn etwas gefragt habe", meinte Djoser mit besorgter Miene.

Nachdem Jermyn noch immer nicht auf ihn reagierte, setzte er sich vorsichtig zu ihm auf das Bett, berührte ihn streichelnd am Kopf und sagte erneut: „Jermyn, sieh mich an."

Zaghaft begann Jermyn sich zu bewegen und lugte vorsichtig zu Djoser hoch.

„Niemand hier wird dir wehtun, darauf gebe ich dir mein Wort", versicherte ihm Djoser.

Dies beruhigte Jermyn zwar ein wenig, doch er wagte dennoch nicht, sich zu bewegen. Also verharrte er in seiner Stellung und blickte weiter zu Djoser auf.

Joshua wollte ohnehin bald aufstehen und vielleicht würde der Junge sich dadurch eher beruhigen, also kroch er langsam aus dem Bett, um sich anzuziehen. Wo er sich dann im Vorbeigehen noch einen Kuss von Noel stahl.

Djoser erhob sich vom Bett, hob die Bettdecke weit an und meinte fordernd zu Jermyn: „Na los, schlüpf wieder unter die Decke."

Zögernd gehorchte der Junge, während sein Blick fest auf Djoser gehaftet blieb.

Als Noel sich ein Stück näherte, schoss Jermyns Blick zu ihm und er war kurz davor erneut zu fliehen. Doch diesmal schaffte er es, ruhig liegen zu bleiben.

„Dein Name ist also Jermyn?", fragte Noel, um zu sehen, ob dieser mit ihm reden würde.

Jermyn nickte nur, während er ihn aus großen ängstlichen Augen ansah.

„Ich bin Noel, oberster Sirus der Altair. Du weißt, was das bedeutet?", wollte Noel wissen.

Wieder nickte Jermyn. Er wusste genau, was das bedeutet. Zumindest wusste er, was dies früher für ihn bedeutet hatte. Nämlich strengen Gehorsam und unendliche Schmerzen.

In langsamer Bewegung setzte sich Noel an den Bettrand und erklärte: „Als Clanführer ist es meine Pflicht über jedes Mitglied im Clan zu wachen und es zu beschützen. Wenn es sein muss, mit meinem eigenen Leben. Als unser Parley wirst auch du ein Mitglied unseres Clans werden und du stehst fortan unter unserem Schutz. Die Vampire, bei denen du zuvor warst, hatten eine andere Vorstellung davon, wie man ein Parley behandelt, als wir. Hier bei uns wird dich niemand absichtlich verletzen."

Der Junge verstand zwar den Sinn dieser Worte, doch er konnte nicht fassen, dass diese wirklich der Wahrheit entsprachen. Dementsprechend ungläubig blickte er drein.

Noel sah ihm seine Zweifel deutlich an, doch dies war nicht der Moment, um seine Worte unter Beweis zu stellen. Der Junge würde mit der Zeit selbst erfahren, dass er unter den Altairs nichts zu befürchten hatte. Erklärend sprach er weiter: „Im Moment bist du noch offizielles Parley der Volganer und das bleibst du, bis wir dich durch ein Ritual bei uns aufnehmen. Ich nehme an, du hast ein solches Ritual bei den Volganern erlebt, nicht wahr?"

Wieder nickte Jermyn nur, wobei man an seinem Blick erkennen konnte, mit welch schrecklichen Erinnerungen er an dieses Ritual zurückdachte.

So etwas hatte Noel bereits befürchtet. Dennoch fügte er hinzu: „Es ist wichtig, dass wir dieses Ritual durchführen, sonst kann jeder Volganer dich zurückfordern. Und das willst du bestimmt nicht, oder?"

Verneinend schüttelte Jermyn den Kopf. Zwar war ihm noch nicht klar, ob er diesen Vampiren wirklich vertrauen konnte, doch bisher waren sie sehr nett zu ihm gewesen. Viel netter als die Volganer, weshalb er dorthin auf keinen Fall zurück wollte und er wunderte sich, warum der Clanführer ihm dies alles erzählte.

Noel gab die Hoffnung langsam auf, dass der Junge irgendwann noch ein Wort mit ihm sprechen würde, und meinte weiter: „In Ordnung. Dann wirst du sicher verstehen, dass wir dieses Ritual möglichst bald durchführen müssen. Du brauchst keine Angst davor zu haben. Wir werden versuchen, es so angenehm wie möglich für dich zu machen."

Der Junge reagierte nicht darauf, sondern blickte ihn nur weiter mit großen ängstlichen Augen an. Noel gab es schließlich auf und erhob sich vom Bett.

„Für wann hast du das Ritual geplant?", fragte Djoser interessiert.

„Noch heute Nacht. Nach der Bestattung", antworte Noel mit einem ausdruckslosen Blick. Es überraschte Djoser sehr, dass dies direkt nach der Bestattung stattfinden sollte. Nach einem so bedeutenden Ereignis, wie der Bestattung eines Clanführers, führte man normalerweise keine anderen Rituale durch. Damit demonstrierte Noel nur, wie wenig er Altair nach seinem Tod würdigte. Was angesichts der Tatsache, dass er dessen Mörder war, ohnehin kein Geheimnis war. Doch mit diesem Ritual unterstrich er seine Haltung noch mehr und befleckte damit die Ehre seines verstorbenen Sirus’.

„Mein Sirus?", meldete sich Joshua zu Wort, worauf Noel zu ihm blickte und ruhig fragte: „Was ist?"

„Soll ich uns beide in einem anderen Zimmer einquartieren? Mit dem Jungen wird es zu eng für uns werden", meinte Joshua mit entschuldigender Miene. Sie alle haben es sehr genossen, eng vereint in einem Bett zu liegen. Vor allem für Djoser und Joshua war dies sehr heilsam gewesen. Beide hatten eine schwere Zeit hinter sich und in der sicheren Geborgenheit ihrer Familie fühlten sie sich behütet.

„Ja, du hast Recht. Ich denke, es wird ohnehin Zeit für mich, Altairs Zimmer zu beanspruchen. Ich habe mich lange genug davor gedrückt. Geh zu Svenja und bitte sie, sich eines der freien Zimmer zu nehmen, falls sie es noch nicht getan hat, und kümmere dich darum, das wir dort schlafen können", bat er seinen Loraib freundlich.

Joshua wollte dazu gerade etwas erwidern, als Peter schwungvoll ins Zimmer hereinstolperte. Er war voll bepackt mit den Getränkeflaschen von Karen in einem Arm und einer Papiertüte im anderen. Stolz grinsend erwiderte er die verdutzten Blicke seiner Familienmitglieder und lud seine ganzen Errungenschaften direkt neben Jermyn auf dem Bett ab.

„Hey Kleiner, schau, was ich für dich habe", meinte er mit einem frechen Augenzwinkern und kramte dann einen Schokoladenriegel aus der Papiertüte. Jermyns Augen wurden groß und fixierten sich auf den Schokoladenriegen, doch er wagte nicht, danach zu greifen.

Enttäuscht, da der Junge sich nicht bewegte, meinte Peter zu Djoser: „Kannst du ihm nicht klarmachen, dass ich ihm nichts böses will?"

„Ich glaub, das Problem liegt eher wo anders", meinte Djoser, während er näher trat und anschließend zu Jermyn sagte: „Jermyn, würdest du die Schokolade gerne haben?"

Heftig nickend bat Jermyn: „Ja, bitte!"

„Warum nimmst du sie dann nicht? Hast du Angst vor Peter?", fragte Djoser nach.

„Ich war mir nicht sicher, ob ich darf", erklärte Jermyn kleinlaut und sah seine Hoffnung auf den Riegel bereits dahinschwinden.

Noel staunte dabei sehr, dass der Junge doch der Sprache mächtig war und fand es sehr erfreulich, dass sein Centra es scheinbar geschafft hatte, dessen Vertrauen zu gewinnen.

Djoser lächelte traurig, da er sich sehr gut vorstellen konnte, woher die Zurückhaltung des Jungen stammte. Freundlich erklärte er ihm deshalb: „Wenn jemand von uns dir etwas gibt, das du gerne haben möchtest, dann darfst du es jederzeit annehmen. Du brauchst dazu keine Erlaubnis."

„Ich kann die Schokolade haben?", fragte Jermyn ungläubig, wobei ihm die Vorfreude deutlich anzusehen war.

„Ja, natürlich", bestätigte Djoser, worauf sofort eine zaghafte Hand nach dem Riegel griff. Kurz abwartend, ob auch gewiss nichts Schlimmes geschehen würde, wagte er es schließlich den Schokoladenriegel aus dem Papier zu wickeln und in großen gierigen Bissen schlang er diesen regelrecht in sich hinein. Er hatte sehr großen Hunger, weshalb er über jeden Bissen froh war und so eine Köstlichkeit, wie Schokolade, hatte er schon seit Jahren nicht mehr bekommen. Deshalb prägte sich Jermyn den herrlich süßen Schokoladengeschmack fest ein, denn er wusste nicht, ob er jemals wieder welche bekommen würde.

„War das auch von Karen geklaut?", fragte Djoser seinen Bruder skeptisch.

„Nein. Der Doc hat es mir geschenkt. Und auch noch einiges mehr", erklärte Peter und schüttete schließlich den gesamten Inhalt der Papiertüte auf das Bett.

Wie hypnotisiert starrte Jermyn auf frische Äpfel, eine Birne, ein paar Bananen, etwas Brot, eingeschweißte Salami- und Wurstscheiben und weitere Süßigkeiten. Es war ewig her, dass er soviel Essen auf einmal gesehen hatte. Ihm lief das Wasser im Munde zusammen und sein Magen stimmte ihm laut knurrend zu. Flehend blickte er zu Djoser auf und wartete sehnsüchtig auf die Erlaubnis, dass er davon etwas nehmen dürfe.

Das Magenknurren blieb von den Vampiren nicht unbemerkt und Djoser meinte freundlich: „Nimm dir, wenn du Hunger hast. Aber schling nicht alles auf einmal hinunter." Damit meinte Djoser nur, dass der Junge sich nicht überessen sollte, bis es ihm übel werden würde.

Jermyn nickte bestätigend und griff sich die Birne, die er andächtig in seiner Hand betrachtete, bevor er einen Bissen davon nahm. Er nahm an, dass die Lebensmittel seine Nahrungsration für die nächsten Tage wären und wollte sich jeden Bissen davon gut einteilen. Er war es gewohnt mit wenig Nahrung auszukommen, was sein abgemagerter Zustand deutlich zeigte. Noch während er das saftig körnige Fruchtfleisch der Birne sorgfältig auf der Zunge zergehen ließ, blickte er sehnsüchtig zu den anderen Lebensmitteln. Er fand es sehr gemein, dass die Vampire ihm all diese herrlich köstlichen Sachen zeigten und er es sich selbst einteilen sollte. Am liebsten wollte er von allem etwas kosten, doch er wusste nicht, wie lange er damit auskommen musste, und traute sich deshalb nicht.

Djoser bemerkte seine Zurückhaltung und fügte erklärend hinzu: „Du kannst ruhig so viel essen, wie du möchtest. Wenn nichts mehr da ist, werden wir neues besorgen. Ich meinte nur, dass du es nicht zu schlingen brauchst. Niemand wird es dir wegnehmen. Es ist sicher nicht gesund, wenn du es zu schnell hineinstopfst."

Peter meldete sich kurz zu Wort und meinte zu Djoser: „Ach übrigens, der Doc hat sich angeboten den Jungen zu untersuchen. Ich hab ihm erklärt, dass dies erst nach der Aufnahmezeremonie möglich ist und es dann von dir abhängig ist, ob du das willst, oder nicht. Deshalb soll ich dich danach fragen. Ich finde, es kann vielleicht nicht schaden, wenn du es erlaubst. Schließlich ist er ein Arzt."

Während Peter seinen Bruder vorsichtig von der Idee überzeugte, dass Edmond den Jungen untersuchen könnte, wagte Jermyn es, sich die eingeschweißten Salamischeiben zu schnappen und versuchte die Verpackung aufzureißen.

„Ich denke darüber nach", antwortete Djoser reserviert, während er Jermyn im Augenwinkel beobachtete.

„Bei dir ist es um einiges länger her, als du noch Mensch warst. Ich erinnere mich da an einige gefährliche Krankheiten, die man nicht sofort erkennt. Ein Arzt tut sich da bestimmt leichter", versuchte Peter es weiter.

„Ich sagte, ich denke darüber nach!", erwiderte Djoser schärfer und nahm Jermyn die Salami aus der Hand, da dieser es noch immer nicht geschafft hatte, die Verpackung zu öffnen. Erschrocken zuckte Jermyn zusammen und blickte schuldbewusst zu Djoser auf. Er glaubte, dass der Vampir böse auf ihn war, doch dieser öffnete ihm nur die Packung mit Leichtigkeit und reichte sie Jermyn zurück.

„Nimm schon. Es ist alles in Ordnung", beruhigte Djoser ihn mit warmer Stimme, worauf Jermyn erleichtert ausatmete und die Salami annahm.

 

*****

 

Die Wetterverhältnisse dieser Nacht waren besonders günstig, weshalb die Vampire auch so lange gewartet hatten, bis sie Altairs Leichnam auf traditionelle Weise bestatteten. Es war eine lauwarme Neumondnacht. Die schmale Sichel des Mondes reflektierte nur wenig Licht auf die Erde, wodurch die Vampire vor den Augen neugieriger Menschen besser geschützt waren.

Die Tradition schrieb vor, dass der Leichnam eines Vampirs verbrannt werden sollte. Ranghöheren Vampiren stand eine zeremonielle Bestattung unter freiem Himmel zu, während Moras und Kalkadore in der Regel ohne großes Zeremoniell innerhalb eines speziellen Raumes unter der Erde verbrannt wurden. Aus dem einfachen Grund, weil eine rituelle Verbrennung Aufmerksamkeit auf sich lenkte.

Bis auf Svenja hatte keines der Clanmitglieder eine emotionale Verbindung zu Altair. Und selbst Svenja war nur durch ihr Loraibband mit ihm verbunden, wodurch es ihm möglich war, sie ohne gegenseitige Zuneigung auszunutzen. Ihr Körper schrie nach ihrem Erschaffer, doch ihr Verstand war froh, dass er tot war.

In dieser Nacht erlaubte sie ihrem Körper die Oberhand über ihre Gefühle zu gewinnen und sang für ihren Sirus ein altes Totenlied aus ihrer Heimat, welches sie als kleines Kind von ihrer Mutter gelernt hatte. Alle Anwesenden staunten über ihre wunderschöne, klare Stimme, die mit solch einer tiefen Traurigkeit erfüllt war, dass es jedem unter die Haut ging. Noch nie hatten die Vampire sie singen gehört, weil Altair es ihr streng verboten hatte. Und gerade deshalb sang sie nun aus Leibeskräften in der Sprache ihrer Ahnen, denen er sie entrissen und womit er sie zu einem ewigen Leben in Abhängigkeit verdammt hatte.

Es wäre Noels Pflicht gewesen, die brennende Fackel an die Holzscheite zu halten, auf denen Altairs Körper lag, doch er konnte es nicht tun. Zu tief lag noch der Schmerz des Verrates, weshalb er Altair diesen letzten Dienst nicht erweisen wollte. Vor allem, nachdem er nun von Zaida noch einige weitere Dinge aus Altairs Vergangenheit erfahren hatte.

Deshalb übergab er die Fackel an seinen Bruder. Ein wenig verwirrt über diese Geste, nahm Jacob die Fackel entgegen. Er verstand jedoch Noels Beweggründe sehr gut, weshalb er dessen Pflicht übernahm und den Holzhaufen in Brand setzte. Das dürre Holz fing sofort an zu brennen und kaum als der tote Vampirkörper von den ersten Flammen erfasst wurde, löste dieser sich sehr schnell in lodernde Flammen auf.

Stumm blickten die Vampire in das Feuer, während Svenjas Stimme sie mit Traurigkeit erfüllte. Doch es war nicht die Art von Traurigkeit, die man verspürt, wenn ein geliebtes Familienmitglied verstirbt, sondern mehr die Erinnerung an all das Leid, das Altair über den Clan gebracht hatte. Noel wurde dies schließlich zu viel, weshalb er sich rasch abwandte und die Feuerstelle in großen Schritten verließ. Joshua folgte seinem Sirus mit großem Abstand. Er wusste nicht, ob sein Sirus seine Anwesenheit in diesem Augenblick wünschte, doch er wollte in der Nähe sein, falls Noel ihn brauchen würde.

Als Noel bemerkte, dass sein Loraib ihm folgte, blieb er stehen und wandte sich zu ihm um. Fragend blickte er zu ihm und wartete auf eine Erklärung, warum Joshua ihm gefolgt war.

Joshua spürte, dass seine Anwesenheit nicht gewünscht war, was ihn ein wenig verletzte. Schließlich war es seine Aufgabe, Noel gerade in einer so schweren Zeit zu unterstützen, doch scheinbar wollte Noel allein sein. Entschuldigend sagte er deshalb: „Bitte verzeih. Ich bin in unserem Zimmer, falls du mich brauchst."

Nachdem Noel darauf nichts erwiderte, schritt Joshua rasch davon, wobei er versuchte möglichst gelassen zu wirken.

Noel war viel zu sehr in seinen eigenen Gefühlen gefangen, um zu bemerken, wie sehr er Joshua mit seiner distanzierten Haltung verletzte. Er hatte so viele Jahre ohne Joshuas Unterstützung auskommen müssen, weshalb er noch immer all seine Sorgen für sich behielt, anstatt sie mit seinem Loraib zu teilen.

 

*****

 

Während alle Vampire bei der Bestattung waren, wachte Djoser über den Schlaf seines Parleys. Nachdem Jermyn nur mit gutem Zureden noch mehr der Lebensmittel gegessen hatte, war er erneut sehr müde gewesen. Doch erst als Djoser ihm deutlich klargemacht hatte, dass er von nun an in diesem Bett schlafen werde, wagte Jermyn es, dem Drängen seines Körpers nachzugeben.

Djoser selbst nahm in einem gemütlichen Sessel platz, den er sich ein Stück näher ans Bett rutschte. Erst nach der offiziellen Aufnahmezeremonie wollte Djoser mit Jermyn im selben Bett schlafen.

Nachdenklich blickte er auf das friedlich schlafende Gesicht und stellte sich vor, welch grausame Dinge Jermyn durchlebt haben musste, um so verängstigt und gebrochen zu sein. Er spürte tiefes Mitgefühl für das schwache, sterbliche Wesen vor ihm und schwor sich selbst, ihm ein guter Schalnar zu werden.

Ganz langsam öffnete sich die Türe zu dem Zimmer, das nun offiziell ihm gehörte, und Peter lugte vorsichtig herein. Djoser lächelte ihm freundlich entgegen und winkte ihn herein, woraufhin Peter eintrat und lautlos näher kam. Die Bestattung hatte auch Peter schmerzlich berührt und er wollte einfach seinen Bruder sehen und wissen, dass es ihm gut ging.

„Ist es vorbei?", fragte Djoser flüsternd, um Jermyn nicht zu wecken, worauf Peter als Antwort nur nickte. Dies bedeutete für Djoser, dass er sich langsam auf das Aufnahmeritual vorbereiten musste. Er war seinem Sirus sehr dankbar, dass dieser den Termin noch in derselben Nacht angesetzt hatte. Dies lenkte ihn von weiteren trübsinnigen Gedanken ab, denn er musste sich nun voll und ganz auf seine neue Rolle als Schalnar konzentrieren.

„Willst du, dass ich dir helfe?", erkundigte Peter sich leise, während Djoser sich langsam aus seinem Sessel erhob, um Jermyn zu wecken.

„Sehr gern, danke", erwiderte Djoser, aufrichtig dankbar über die Unterstützung seines Bruders.

Die beiden Brüder vereinten sich miteinander in einer freundschaftlichen Umarmung. Gerade Djoser taten diese kleinen Gesten sehr gut und sie trugen dazu bei, dass er all die schrecklichen Erlebnisse besser verarbeiten konnte.

Im selben Moment erwachte Jermyn aus seinem leichten Schlaf. Er war es gewohnt, bei jedem noch so leichten Geräusch sofort aufzuwachen, weshalb er schon seit Jahren nicht mehr richtig geschlafen hatte. Djoser lächelte ihm freundlich entgegen, während er sich zu ihm auf das Bett setzte und dabei die Decke anhob, um an Jermyns verbundenen Fuß zu gelangen. Jermyn war sofort hellwach und wartete mit Argwohn ab, was die Vampire mit ihm vorhaben würden.

Mit großer Vorsicht entfernte Djoser den Verband, um die Wunde zu überprüfen. Das Loch hatte sich zwar ein wenig geschlossen, doch die Wunde war stark entzündet. Es würde gewiss Wochen dauern, bis Jermyn wieder auf eigenen Beinen laufen könnte und an die Schmerzen wollte Djoser gar nicht denken.

„Die Wunde muss gereinigt werden", sagte er nur, während er sich erhob und Jermyn vollkommen nackt aus dem Bett hob.

Diese Stellung war Jermyn mittlerweile vertraut und er fühlte sich an Djosers Brust seltsam behütet, weshalb er sich nicht mehr so stark verkrampfte wie am Anfang. Dennoch blieb er auf der Hut, denn wenn er es richtig verstanden hatte, wollten die Vampire sehr bald ein Aufnahmezeremoniell mit ihm durchführen und von den Volganern her, hatte er eine ziemlich schlimme Erinnerung an solch ein Ereignis.

„Bereitest du inzwischen alles vor? Ich bringe ihn nur noch kurz ins Bad", informierte Djoser seinen Bruder, welcher bestätigend nickte, um der Bitte seines Bruders nachzukommen.

Diesmal trug Djoser den Jungen nicht in das große luxuriöse Gemeinschaftsbad, sondern in ein kleineres Bad, in dem, entgegen der meisten anderen Bäder innerhalb der unterirdischen Behausung, auch eine funktionierende Toilette mit eingebaut war. Es war dasselbe Badezimmer, das auch Karen und Edmond im Moment benutzten, weshalb hier am Waschbecken einige von deren Utensilien herumstanden.

Djoser setzte Jermyn auf den herab geklappten Deckel der Toilette ab und suchte dann in den schmalen Badschrank nach etwas geeignetem, um Jermyns Wunde zu reinigen. Wie erwartet wurde er schnell fündig, da alle Bäder im Haus mit Verbandsmaterialen ausgestatten waren.

Vorsichtig sprühte er eine desinfizierende Flüssigkeit mit Hilfe einer kleinen Sprühflasche auf die Wunde und spülte damit das eitrige Wundsekret heraus. Laut zischte Jermyn auf, als die Flüssigkeit auf das entzündete Fleisch auftraf.

„Tut mir Leid, Kleiner, aber das muss sein, sonst wird es nur schlimmer", entschuldigte Djoser sich für die Schmerzen, die er Jermyn zufügen musste.

Tapfer ließ Jermyn die Behandlung über sich ergehen, ohne auch nur einmal mit seinem Fuß zu zucken, wobei ihm eine längst vergangene Erinnerung in den Sinn kam. Als er noch ein kleiner Junge war, hatte er sich einmal am Knie verletzt. Er erinnerte sich dabei an die vergeblichen Versuche seiner Mutter, als diese die Wunde reinigen und ein Pflaster darauf geben wollte, doch er war so weinerlich, dass er keine Sekunde lang stillgehalten hatte.

„Musst du auf die Toilette?", fragte Djoser und riss Jermyn damit aus seiner Erinnerung. Sofort nickte er bejahend, ohne sich sicher zu sein, ob er wirklich musste. Der Gang auf eine richtige Toilette war reinster Luxus für ihn, weshalb er diese Frage sofort bejahte.

„Okay, dann versuch aufzustehen", meinte Djoser und reichte ihm zwei helfende Hände. Unsicher griff er nach Djosers Händen und ließ sich von ihm auf sein gesundes Bein ziehen. Als Jermyn einen sicheren Stand hatte, griff Djoser um dessen Körper herum und klappte den Deckel der Toilette nach oben.

In diesem Moment öffnete sich die Türe zum Badezimmer und Karen kam herein. Jermyn erschrak und hätte beinahe das Gleichgewicht verloren. Er konnte sich gerade noch an Djoser festhalten, welcher sich seinerseits verärgert zu dem Störenfried umblickte.

„Oh, stör ich?", fragte Karen frech grinsend, während sie sich mit langem Hals nach Jermyns nacktem Körper reckte, welcher durch Djosers Körper nur halb verdeckt war.

Djoser richtete seine Aufmerksamkeit wieder zurück auf Jermyn und ließ diesen sich zurück auf die nun offene Toilette setzen. Dann wandte er sich rasch um und schob Karen unsanft aus dem Badezimmer. „Hey!", protestierte diese gerade noch, bevor die Tür vor ihrer Nase zuknallte.

Mit verschränkten Armen vor der Brust, wartete sie ungeduldig vor der Türe. Erst nach einigen langen Minuten öffnete sich die Türe wieder und Djoser trat mit Jermyn im Arm heraus. Ohne das Menschenmädchen eines Blickes zu würdigen, ging Djoser seines Weges. Karen fand dieses Benehmen unerhört, weshalb sie ihm ein vor Sarkasmus triefendes „Danke sehr!" nachrief.

Als Djoser im großen Gemeinschaftsraum der Vampire ankam, waren bereits ein paar Neugierige vor Ort, die dem Geschehen beiwohnen wollten, und es wurden mit jedem Moment mehr. Peter hatte indessen einen ausreichend großen Platz in der Mitte des Raumes frei geräumt und dort eine große feste Matte ausgebreitet, wo er gerade eine hellbraune Wolldecke über die gesamte Matte ausbreitete.

Dort auf diese Decke legte Djoser den Jungen ab. Obwohl die Decke sich herrlich weich unter seinem Rücken anfühlte, war ihm sehr unwohl. Er wollte am liebsten weiter von Djoser gehalten werden. Er fürchtete sich sehr vor dem Aufnahmeritual und die Anwesenheit der vielen Vampire ließ ihn mit Grauen erahnen, was sehr bald auf ihn zukommen würde. Dennoch blieb er artig liegen und bewegte sich keinen Millimeter, als hoffte er damit, dass ihn dadurch niemand mehr wahrnehmen würde.

Djoser entledigte sich seiner Stoffhose, die er als einziges trug, und begann sich selbst mit Minzöl einzureiben, wobei die Minze an einigen Stellen, an denen seine Wunden noch nicht ganz verheilt waren, ein wenig brannte. Jedoch nicht schlimm genug, um ihm einen Laut zu entlocken. Für ihn war es zum Teil sogar angenehm. Peter half ihm, indem er all die für Djoser unzugänglichen Stellen sorgfältig mit dem Öl einrieb.

Anschließend setzten sich beide Vampire jeweils rechts und links neben Jermyn auf die Decke und begannen damit, das frisch duftende Öl auf Jermyns Körper zu verteilen. In langsamen und sorgfältigen Bewegungen massierten sie jeden Muskel so lange, bis er sich unter ihren Fingern entspannte.

„Mit diesem Öl reinigen wir deinen Körper und vernichten damit den Geruch jedes Lebewesens, das dich zuvor berührt hat", erklärte Djoser ihm mit ruhiger Stimme, worauf ihm Jermyns blaue Augen ängstlich entgegenblickten. Djoser bemerkte, dass Jermyn von der Anwesenheit der vielen Vampire abgelenkt und deswegen innerlich voller Angst war, weshalb er leise hinzufügte: „Achte nicht auf die andern. Konzentrier dich nur auf mich. Ich bin bei dir und werde dich beschützen."

Eine einzelne heiße Träne rollte Jermyn über die Wange, da er schreckliche Angst verspürte und einfach nur wollte, dass es schnell vorbei sein würde. Er wollte zurück in das schöne weiche Bett. Doch am allermeisten wollte er Djosers Worten glauben, denn er sehnte sich so sehr nach jemanden, der ihn vor den erbarmungslosen Griffen der Vampire beschützen würde. Jemand, bei dem er sich sicher fühlen durfte, ohne verraten zu werden. Denn nicht selten hatten ihm die Volganer vorgegaukelt, dass er in Sicherheit war, nur um ihn anschließend noch grausamer zu misshandeln.

Er war so sehr in die schrecklichen Erinnerungen verstrickt, dass er zusammenzuckte als Djoser ihm die Träne aus dem Gesicht wischte. Als er mit seinen Gedanken wieder in der Gegenwart war, sah er Djosers Gesicht über dem seinen schweben, welcher ihn besorgt musterte.

Der Clanführer, vor dem Jermyn sich so sehr fürchtete, stand wie aus dem Nichts heraus plötzlich neben der Matratze und blickte zu ihm herab. Erschrocken rutschte Jermyn zur Seite und damit direkt in Djosers Arme.

„Genau, was ich befürchtet habe", meinte Noel mehr zu sich selbst und wandte sich zu seinen Loraib um. Er flüsterte ihm ein paar Anweisungen ins Ohr, denen Joshua sofort nachging.

Wenige Minuten später war der ganze Saal in angenehmeres Licht abgedunkelt und die Clanmitglieder wurden angehalten, sich so geräuschlos wie möglich zu verhalten. Mittlerweile war der ganze Clan anwesend und auch Zaida wohnte dem Ereignis zusammen mit ihren Nachkommen bei.

Selbst Karen war dabei. Sie stand neben Mateo, der ihr zuvor klar zu verstehen gegeben hatte, dass sie keinen Mucks von sich geben dürfe, weshalb sie nun mit gebannter Faszination auf den nackten jungen Mann in der Mitte des Saals starrte und mit großer Neugierde das Schauspiel erwartete. Keine Sekunde lang kam ihr der Gedanke, dass Jermyn dabei Angst haben könnte. Für sie war dies ein einziges großartiges Spiel, in dem sie selbst gern die Hauptrolle gespielt hätte. In der Obhut der Vampire war ihr niemals etwas Schlimmes widerfahren, weshalb sie es sich unmöglich vorstellen konnte, dass es auch anders sein könnte. Außerdem war sie sich noch immer nicht im Klaren, was ein Parley tatsächlich für eine Rolle innerhalb eines Clans hatte.

Djoser und Peter bemühten sich weiter das kühle Minzöl in Jermyns Glieder zu massieren, wobei sie sich nun hauptsächlich dessen Rückseite annahmen. Mit viel Liebe und Geduld massierten sie so lange, bis Jermyn sich unter ihnen entspannte, selbst dann, als sie dessen Pobacken ebenfalls kneteten.

Nachdem jeder Muskel in Jermyns Körper erwärmt war, führte Peter die körperliche Reinigung auch an Noel durch. Genauso, wie zuvor bei Djoser, wurde Noels Körper nur leicht mit dem Minzöl eingerieben, während Djoser neben Jermyn auf der Decke liegen blieb und beruhigend über dessen Rücken kraulte, sodass der Junge beinahe dahindöste.

Die Tradition schrieb vor, dass jedes Mitglied der Rangorder in irgendeiner Weise an dem Ritual teilnehmen musste, erlaubt war es im Grunde jedem Clanmitglied. Davon ausgeschlossen waren nur die Loraibs, da diese keinen Anspruch auf das Parley erheben durften. Doch Noel wollte es auf so wenig Beteiligte wie möglich reduzieren und da die Rangorder im Moment nur aus Noel, Djoser und Peter bestand, waren es auch nur die Drei, die sich nun aufstellten, um das Ritual zu eröffnen. Mit einem Messer schnitt sich jeder von ihnen in ihr linkes Handgelenk und ließen einen Teil ihres Blutes in ein Glas tropfen. Dies machten die drei so lange, bis das Glas halb voll war. Peter tat dann noch eine weitere Flüssigkeit mit in das Glas und verrührte es sehr sorgfältig.

„Was ist denn hier los?", hallte die überraschte Stimme eines Mannes durch den Saal, worauf alle Aufmerksamkeit plötzlich auf Edmond lag, welcher sich gerade ein wenig die Beine vertreten wollte, weil er nicht schlafen konnte.

Rasch trat Nathaniel zu ihm und zeigte ihm mit dem Finger vorm Mund an, dass er still sein sollte. Flüsternd wiederholte Edmond seine Frage an Nathaniel gerichtet, wobei er versuchte möglichst leise zu sein. Die Vampire jedoch empfanden selbst sein Flüstern als störend.

„Noel nimmt ein Parley in den Clan auf", flüsterte Nathaniel ihm erklärend zu.

„Und dazu müssen sie alle nackt sein?", fragte Edmond verwundert, wobei er wieder lauter wurde als er es wollte. Daraufhin warf Noel ihm einen strengen Blick zu, der deutlich zu verstehen gab, dass er eine solche Unterbrechung nicht wünschte.

„Bitte sei still", betonte Nathaniel.

„Ich will wissen, was hier vor sich geht!", erwiderte Edmond diesmal leiser.

„Komm mit, ich erklär dir alles", bot Nathaniel ihm an und deutete Edmond, dass er ihm folgen sollte. Nathaniel ging mit ihm die große Treppe ein Stück nach oben, von wo aus der ganze Saal gut überschaubar war. Hier standen sie etwas abgelegener, sodass sie die anderen nicht störten, wenn Nathaniel ihm das Ritual erklärte.

„Die Mitglieder der Rangorder geben ihr Blut und fügen eine Flüssigkeit hinzu, damit es dem menschlichen Organismus nicht schadet, wenn Jermyn es trinkt", erklärte er leise, während gleichzeitig Djoser das Glas an Jermyns Lippen reichte, damit dieser es trinken würde.

Jermyn konnte sich nicht mehr an alle Einzelheiten der Zeremonie bei den Volganern erinnern, doch er glaubte, dass er damals erst viel später etwas in den Mund bekommen hatte, das so bitter schmeckte wie das, was Djoser ihm nun reichte. Artig zwang er jeden Tropfen davon die Kehle hinab, bis das ganze Glas leer war.

„Was passiert jetzt?", fragte Edmond ungeduldig.

„Jetzt wird Noel ihn nehmen", antworte Nathaniel.

„Huh? Ihn nehmen? Wohin?", meinte Edmond sichtlich verwirrt, da er keine blasse Ahnung hatte wovon Nathaniel sprach und er dachte, Noel würde ihn irgendwohin mitnehmen wollen.

„Na in den Hintern, wohin sonst?", erwiderte Nathaniel schlicht.

Entsetzt rief Edmond aus: „Er will was?", worauf erneut alle Köpfe auf ihn gerichtet waren.

„Edmond bitte!", zischte Nathaniel ihm flehend zu, damit er endlich leiser wäre.

Noel störten die ständigen Unterbrechungen, weshalb er Joshua andeutete, sich darum zu kümmern. Deshalb eilte dieser zu den beiden die Treppe hinauf und warnte Edmond eindringlich: „Es ist eine große Ehre für Sie, diesem Ritual beiwohnen zu dürfen und wir erlauben es Ihnen gerne, aber wenn Sie noch einmal stören, werden wir Sie ausschließen. Ich bin sicher, Nathaniel wird Ihnen alles genau erklären, also bitte verhalten Sie sich ruhig!"

„Ich bitte um Verzeihung, es hat mich nur sehr beunruhigt, als Nathaniel mir gerade erzählte, dass Noel den Jungen hier und jetzt gleich misshandeln will!", erwiderte Edmond, wobei er sich bemühte leise zu sprechen, was ihm aber nicht sonderlich gelang.

„Es ist nicht so, wie es für Sie vielleicht scheinen mag. Bitte verhalten Sie sich ruhig, sonst muss ich Sie bitten zu gehen", betonte Joshua erneut.

Abwehrend hob Edmond beide Hände nach oben und sagte schließlich: „Schon gut, okay. Ich werde still sein", versprach er, denn er wollte unbedingt sehen, was passieren würde.

Währenddessen spürte Jermyn ein seltsames Gefühl in sich aufkommen, das ihm fremd war. Es war ein warmes, angenehmes Gefühl, das sich erst nur ganz leicht in seinem Bauch entwickelt hatte und sich nun über seinen ganzen Körper ausbreitete. Plötzlich hatte er überhaupt keine Angst mehr. Er fühlte sich selig und blickte lächelnd zu Djoser auf, der seinen Oberkörper im Arm hielt. Ein weiteres sehr intensives Gefühl breitete sich in seinen Lenden aus. Ein Gefühl, dass er schon seit einer sehr langen Zeit nicht mehr gespürt hatte. Er spürte eine sehr starke Erregung und sein steif aufgerichteter Schaft zeugte deutlich davon.

Dies war das sichere Zeichen für die Vampire, dass der Cocktail, den sie ihm gemixt hatten, seine gewünschte Wirkung tat. Jermyn war in hoch erregtem Zustand. Deshalb positionierte sich Djoser so, sodass er mit dem Rücken flach auf der Matte auflag. Seinen Körper quer zu Jermyns Körper ausgerichtet. Noel trat direkt hinter Jermyn und manövrierte ihn herum, sodass dieser nun auf Knien und Ellbogen auflag. Als Jermyn den nackten Körper von Djoser direkt vor sich unter seiner Nase hatte, glaubte er zu wissen, was von ihm erwartet wurde. Sofort stürzte er sich auf dessen Männlichkeit und nahm sie mit dem Mund auf. Dies war eine leichte Aufgabe, der Jermyn gerne nachkommen wollte. Wenn er eines gelernt hatte, dann, dass sich Vampire durch das Lutschen ihrer Schwänze sehr schnell besänftigen lassen. Deshalb hatte er diese Übung bis zur Perfektion geübt und tat es gern, denn dies hatte ihn oft vor Schmerzen bewahrt und ihm manchmal sogar eine Belohnung eingebracht.

Djoser stöhnte überrascht auf, denn damit hatte er überhaupt nicht gerechnet. Vor allem hätte er niemals mit so einer geschickten Zunge gerechnet, die nun an seinem erwachten Glied spielte. Es fiel ihm unendlich schwer, Jermyn aufzuhalten, aber dennoch strich er ihm sachte über den Kopf und sagte: „Es spricht zwar nichts dagegen, dass du das tust, aber du musst es nicht unbedingt. Es reicht, wenn du deinen Kopf einfach hier auf meinen Bauch legst. Ich bin nur hier, damit ich gut sehe, wie es dir geht."

Frech funkelnde Augen blinkten Djoser entgegen, worauf er nicht sicher war, ob Jermyn ihn verstanden hatte, denn er hörte nicht auf an seiner Härte zu saugen. Er musste sein Stöhnen unterdrücken und keuchte stattdessen schwer auf, als Jermyns seine Bemühungen noch mehr steigerte.

Jermyn hatte ihn genau verstanden und genau deswegen wollte er es tun. Er wollte es tun, weil er es gut konnte und weil es ihm gefiel, wie sich Djoser unter ihm wandte. Er fand es in keiner Weise unangenehm. Dies lag an der starken Mixtur, die er im Blut hatte und die ihn in einen berauschten Zustand versetzte. Außerdem steigerte das Saugen seine eigene Erregung noch mehr.

Es störte Jermyn auch nicht im Geringsten, als er Noels Hände an seiner Kehrseite spürte. Er nahm es eher beiläufig wahr, da er sich voll und ganz auf den zuckenden Körper unter sich konzentrierte.

Sich dessen bewusst, verteilte Noel sorgfältig etwas mehr von dem Öl auf seiner eigenen Härte und positionierte sich an Jermyns Öffnung. Ein vorbereitendes Fingerspiel war nicht nötig, da Jermyns Muskeln durch den Cocktail vollkommen entspannt waren und er durch die Volganer bereits mehr als gut trainiert war.

Millimeter für Millimeter drückte Noel seinen steifen Schaft schließlich in Jermyns warmen Körper. Erst jetzt bemerkte dieser bewusst, was hinter ihm passierte, weshalb er sein Spiel bei Djoser unterbrach und unsicher innehielt. Er erwartete den Schmerz und bereitete sich darauf vor. Er versuchte sich zu entspannen, da er wusste, dass dies schmerzlindernd wirkte, doch er war bereits locker und entspannt, weshalb er sich nicht noch mehr entspannen konnte. Irritiert stellte er fest, dass der erwartete Schmerz nicht kam, doch stattdessen spürte er, wie seine Erregung immer mehr anstieg. Ihm war unerklärlich, wie ihn dies noch mehr erregen konnte.

Vollkommen verwundert blickte er sich zu Noel um, der mit voller Konzentration auf sich selbst herabblickte, wie er in langsamen Stößen in Jermyns Körper eindrang, als ob dies seine ganze Aufmerksamkeit erfordern würde. Tatsächlich benötigte Noel sehr viel Konzentration, nicht sofort wie wild in den warmen Körper zu stoßen. Es fühlte sich einfach fantastisch an, doch Noel wollte es möglichst sanft gestalten, weshalb er sich so gut es ging zurückhielt.

„Alles OK?", fragte Djoser leise, worauf Jermyn seinen besorgten Blick mit einem erstaunten Lächeln erwiderte und verblüfft sagte: „Es tut nicht weh."

„Natürlich nicht", erwiderte Djoser mit einem freundlichen Augenzwinkern.

Edmond konnte kaum fassen, was er sah. Vor den Augen aller Anwesenden war Noel auf so intime Weise in Jermyns Körper vergraben, wie er es noch nie in seinem Leben live erlebt hatte. Dieser Anblick schockierte und faszinierte ihn gleichzeitig so sehr, dass auch er eine deutliche Erhärtung in seiner Hose spürte.

Das besondere Schauspiel blieb auch bei den anderen Vampiren nicht ohne Wirkung. Manche unter ihnen rückten etwas näher zusammen, küssten und streichelten sich vollkommen ungeniert, während sie weiter beobachteten, wie ein Parley in den Clan aufgenommen wurde.

Immer mehr gewöhnte sich Jermyn an diese Situation, wobei er erstaunt feststellte, wie wenig es ihm ausmachte, dass Noel ihn gerade vor den Augen zahlreicher Vampire nahm. Er richtete seine Aufmerksamkeit zurück auf Djosers Erhärtung, die er erneut mit seinem geschickten Mund zum Zucken brachte und worauf Djoser überrascht aufstöhnte.

Mit sicherer Hand griff Djoser nach Jermyns Härte und stimulierte sie zu Noels Stößen, was erregende Schauer durch Jermyns Körper jagte und weshalb er um Djosers Härte zu stöhnen begann. Während Jermyn sich früher immer vollkommen passiv verhielt und jede Bewegung vermied, fing nun sein Körper wie von selbst an, sich in stetigem Rhythmus mitzubewegen, was neue und ungewohnte Wellen der Erregung auslöste. Selbst der harte Schaft, der sich in seinem Anus bewegte, löste ungeahnte Gefühle in ihm aus, die er nie für möglich gehalten hätte. Er löste sich deshalb von Djosers Härte und konzentrierte sich zum ersten Mal in seinem Leben auf das Gefühl, das ein Vampir in ihm auslöste, indem er ihn von hinten nahm.

Es verwirrte Jermyn sehr, wie gut es sich anfühlte. Er spürte keine Schmerzen und sein Körper verlangte stetig nach mehr, indem er sich immer drängender gegen Noels Härte bewegte. Ihm wurde plötzlich bewusst, dass ein solcher Akt auch schön sein konnte und er all die Jahre mit voller Absicht gequält worden war. Nur so aus Spaß.

Als ihm diese Erkenntnis in einem kurzen klaren Moment erreichte, liefen einsame Tränen über seine Wangen. Sofort besorgt, richtete sich Djoser ein Stück auf, strich Jermyn sanft die Tränen aus dem Gesicht und fragte: „Hast du Schmerzen?"

Jermyn bewegte den Kopf verneinend und blickte Djoser tief in die Augen. Er verstand nicht, weshalb dieser Vampir so nett zu ihm war. Er verstand einfach die ganze Welt nicht mehr, weshalb er in dessen Augen nach einer Antwort suchte.

Djoser erkannte die tiefe Verwirrung in seinem Jungen. Er beugte sich vor und berührte Jermyns Mund mit seinen Lippen. Überrascht hielt Jermyn inne, während Djosers Zunge sich sachte in seinen Mund wagte. Ihre beiden Zungen berührten sich nur kurz, bevor Djoser sich wieder zurückzog. Erst als Djosers Gesicht wieder vor ihm war, wurde Jermyn bewusst, dass dieser ihn gerade geküsst hatte. Es war sein allererster Kuss in seinem Leben und er hatte sich auf seltsame Weise besonders angefühlt. Es war ein schöner und tröstender Kuss, doch Jermyn blieb keine Zeit, genauer darüber nachzudenken, denn Noels Stöße wurden nun ein wenig schneller, was das erregende Gefühl in seinem Inneren noch mehr steigerte.

Die beiden zu sehen, wie sie sich küssten, war zu viel für Noel gewesen, weshalb er sich nicht länger zurückhalten konnte. Er kam seinem Höhepunkt immer näher. Djoser und Peter erkannten, dass die Zeit knapp wurde, weshalb sie sich auf ihre Aufgaben konzentrierten. Während Djoser sich mit geschickten Handgriffen bemühte, Jermyn rasch auf seinen Höhepunkt zu zutreiben, bereitete Peter sich auf seinen nächsten Job vor, auf den er sich ganz und gar nicht freute. Ohne dass es Jermyn bemerkte, verteilte Peter die dicke Salbe auf sein altes Brandzeichen an seinem Oberschenkel.

Dann ging alles ganz schnell. Jermyn spürte noch, wie er seinem Orgasmus immer näher kam, bis schließlich mehrere ekstatische Wellen durch ihn hindurchjagten und er sich zuckend in Djosers Hand ergoss. Im selben Moment beugte Noel sich vor, zog Jermyns Kopf am Kinn zurück und biss ihm in den Hals, während er weiter in raschen Stößen in dessen Körper stieß. Durch den enormen Orgasmus benommen, nahm er den Biss nur beiläufig wahr und spürte nur, wie ihm schwindlig wurde. Der süße Geschmack des Blutes trieb Noel rasend schnell über die Klippe. Blitzschnell zog er sich aus Jermyn zurück und ließ seinen Samen über dessen Po und Rücken spritzen. Jermyn war noch vollkommen in seinen Orgasmus gefangen, als er plötzlich einen starken, stechenden Schmerz an seinem Oberschenkel spürte. Erschrocken schrie er laut auf und versuchte der Quelle des Schmerzes zu entfliehen, doch etwas hielt seinen Schenkel fest im Griff. Peter hielt ein glühendes Eisen an die Stelle, an der Jermyn das Zeichen der Volganer trug, während er Jermyns Schenkel fest umschlossen im Arm hielt.

Es waren nur wenige Sekunden, in denen das Eisen seine Haut versengte, und die Schmerzen waren bei weitem nicht so groß, wie bei seinem ersten Brandzeichen. Es war mehr der Schreck, der ihn aufschreien und dann in Djosers Umarmung flüchten ließ. Die Salbe, die Peter zuvor aufgetragen hatte, betäubte die obere Hautschicht, weshalb er es nun kaum mehr spürte.

Djoser schloss seine Arme schützend um Jermyns Körper und redete ruhig auf ihn ein: „Hab keine Angst. Es ist alles vorbei."

‚Vorbei?’, dachte Jermyn sich verwirrt. Wie konnte es vorbei sein, wenn es gerade erst angefangen hatte?

Mit seinem Jungen im Arm, erhob sich Djoser und stellte sich neben der Matte auf. Noel trat näher, strich dem Jungen zärtlich über die Stirn und sagte: „Ich erkläre dich zum Palrey der Altair. Kein anderer Clan soll jemals seine Hand über dich erheben."

Benommen vernahm Jermyn die Worte, die nur langsam einen Sinn ergaben. Kein anderer Clan würde auch bedeuten, dass nie mehr ein Volganer ihm etwas antun konnte.

Noel beugte sich zu Jermyn herab und gab ihm einen leichten Kuss auf die Stirn. Dann trat er zur Seite und ließ sich von Joshua einen Morgenmantel reichen. Peter trat nun an Noels Stelle und meinte entschuldigend: „Sorry für das Eisen, doch wir konnten unmöglich zulassen, dass du weiterhin so ein hässliches Teil am Arsch trägst."

Auch Peter begrüßte das neue Parley mit einem sanften Kuss auf die Stirn, was anschließend dann auch alle anderen Vampire des Clans reihum taten. Manche von ihnen fügten ein paar freundliche Worte hinzu, während andere ihm einfach nur über die Stirn strichen, bevor sie ihm einen leichten Kuss gaben.

„Jetzt ist er offizielles Parley der Altairs", meinte Nathaniel zu Edmond, der vollkommen fassungslos auf das Szenario blickte. Selbst in seinen kühnsten Träumen hätte er sich niemals ein so bizarres Ritual vorstellen können.

„Das war unglaublich", ließ Edmond seinen Gedanken freien Lauf.

Amüsiert blickte Nathaniel den Menschen an und meinte: „Dann hat es dir wohl gefallen, huh?"

„Ich muss zugeben, es war in gewisser Weise reizvoll, doch ich bezweifle ernsthaft, ob Jermyn das auch so gesehen hat", gab Edmond zu bedenken.

„Warum überzeugen Sie sich nicht selbst?", grinste Nathaniel ihm frech entgegen.

Djoser ging mit Jermyn zu dem überdimensionalen Sessel am Kopfende des Raumes. Peter wartete dort bereits mit einer Decke auf ihn. Es war eine leichte flauschige Decke, die sich unglaublich weich auf der Haut anfühlte. Djoser legte Jermyn direkt in Peters Arme und damit direkt in die tiefschwarze Decke. Dann nahm Djoser in dem großen Sessel Platz und ließ sich Jermyn zurück in den Arm legen. Die beiden Vampire wickelten Jermyn nun in die Decke, welche sich wohlig warm um Jermyns Körper schmiegte. Eingebettet in Djosers Armen lag er unglaublich bequem und fühlte sich zum ersten Mal seit langen Jahren sicher und behütet.

Noch immer kamen Vampire, um ihn im Clan willkommen zu heißen, indem sie ihn auf die Stirn küssten, doch dies störte Jermyn nicht. Er hatte Vertrauen zu Djoser gefasst und glaubte ihm, dass alles vorbei war und er glaubte ihm auch, dass er ihn beschützen würde. Dies war alles, was im Moment zählte.

„Kannst du meinen Schweiß unter dem Duft der Minze wahrnehmen?", fragte Djoser ihn leise, worauf Jermyn einen tiefen Atemzug aufnahm und bejahend nickte, da er den bereits vertrauten Körpergeruch des Vampirs riechen konnte.

„Solange dieser Geruch dich umgibt, wird dir kein anderes Wesen jemals wieder ein Leid zufügen, darauf gebe ich dir mein Wort", versprach Djoser seinem Parley.

Diese Worte waren wie Musik in Jermyns Ohren, weshalb er erneut einen tiefen Atemzug einatmete, um sich den Geruch genau einprägen zu können.

Edmond und Nathaniel waren die Treppe inzwischen runter gekommen und standen nun bei den Antares Vampiren. Karen war total fasziniert von dem Geschehen, weshalb sie über beide Ohren strahlte und Jermyn um die Aufmerksamkeit beneidete, die dieser nun bei den Altairs genoss. Zaida warf ihrem Loraib einen strengen Blick zu, da es ihr missfiel, wie sehr sich dieser um Edmond bemühte. Nathaniel wusste um ihre leichte Eifersucht und wollte diese nicht noch weitertreiben, weshalb er sich dicht hinter sie schmiegte und sie in eine zärtliche Umarmung schloss.

Noel trat zu den Antares und bedankte sich für deren Anwesenheit zu dem bedeutenden Moment. Anschließend trat er zu Edmond, welcher ihm mit einer gewissen Zurückhaltung begegnete.

„Ich kann verstehen, dass Ihnen unsere Riten ungewöhnlich erscheinen. Ich bitte jedoch um Ihr Verständnis, dass wir Ihretwegen nicht auf jahrhunderte alte Traditionen verzichten können. Wir haben in vielen Dingen Rücksicht auf Ihre Anwesenheit genommen, sofern dies möglich war", erklärte Noel, um zu sehen, wie Edmond auf das Ritual reagierte.

„Es war in der Tat sehr ungewöhnlich, doch wie mir scheint hat der Junge es gut überstanden. Auch wenn es mir offen gestanden sehr schwer fällt, will ich versuchen die Dinge aus dem Standpunkt eines Vampirs zu verstehen. Bitte verzeihen Sie, wenn mir dies nicht auf Anhieb gelingt", versuchte Edmond sich für sein störendes Benehmen zu Anfang der Zeremonie zu entschuldigen.

„Ich bin Ihnen deshalb nicht böse. Versuchen Sie das nächste Mal nur Ihre Bestürzung nicht so laut von sich zu geben", fügte Noel als neckende Bemerkung hinzu, bevor er sich mit einem respektvollen Nicken verabschiedete. Die Nacht war sehr lang und ereignisreich gewesen und er sehnte sich nach etwas Ruhe und Entspannung in Joshuas Armen.

Der Saal leerte sich stetig, doch Edmond stand noch immer am selben Fleck und beobachtete fasziniert, wie Peter vor Djoser und Jermyn auf dem Boden kniete und Jermnys Wunde am Fuß sorgfältig mit einem Spray spülte und anschließend in einen Verband wickelte.

Als Peter sich schließlich erhob, war sonst niemand mehr im Raum. Zögernd ging Edmond auf die drei zu und musterte Jermyn genau. Diesem schien es sehr gut zu gehen. Wesentlich besser als zuvor, als er ihn das erste Mal in dem anderem Saal gesehen hatte.

Djoser beobachtete den Doktor argwöhnisch, da er ihm nicht traute. Seinem Empfinden nach, war er das typische Beispiel eines Menschen, der alles Unbekannte sofort verurteilte. Auch Peter blieb auf der Hut. Er hegte zwar keinen Groll gegen Edmond, aber er kannte seinen Bruder sehr gut und wusste, dass dieser in manchen Situationen schnell ein wenig überreagieren könnte.

„Wie geht es dir?", fragte Edmond an Jermyn gerichtet.

Jermyn dachte kurz über diese Frage nach, deren Antwort ihn selbst überraschte, denn es ging ihm: „Gut."

„Du hast keine… Schmerzen?", hakte Edmond ungläubig nach, da er durch seinen Beruf wusste, wie schmerzhaft Brandwunden sein mussten.

„Nein", erwiderte Jermyn mit einem ehrlichen Lächeln, worauf Edmond ihm schließlich glaubte. Ihm war nicht klar, wie die Vampire es geschafft hatten, dass Jermyn nach all den Dingen, die er gesehen hatte, nun in einem so unbeschwerten und schon beinahe glücklichen Zustand war.

Nachdem es ganz offensichtlich keinen Grund gab, sich um Jermyn Sorgen zu machen, beschloss er, sie nicht länger zu belästigen und wollte gehen. „Warten Sie!", hielt Djoser ihn auf, worauf Edmond zurückblickte.

Djoser hatte fest damit gerechnet, einen Tadel aus Edmonds Mund zu hören, doch als nichts dergleichen kam, fragte er sich, ob er dem Doktor vielleicht Unrecht getan hatte. Als er die Aufmerksamkeit des Doktors hatte, fügte er deshalb hinzu: „Peter sagte mir, Sie hätten sich bereiterklärt Jermyn zu untersuchen. Wäre es Ihnen recht, wenn wir morgen Nacht zu Ihnen kommen?"

„Morgen Nacht?", wiederholte Edmond ein wenig überrumpelt, da er nicht mit so etwas gerechnet hätte.

„Eher wird es leider nicht gehen, weil wir den ganzen Tag über hier sitzen bleiben werden", erklärte Djoser genauer, obwohl er gemerkt hatte, dass dies nicht der Grund für Edmonds Rückfrage war.

Damit erwachte Edmonds unbändige Neugierde und er fragte interessiert nach: „Sie bleiben den ganzen Tag hier sitzen?"

Djoser lächelte ausgeglichen und antwortete: „Kann sein, dass wir das ein oder andere mal kurz aufstehen, falls Jermyn ins Bad muss, doch den Rest über werden wir hier bleiben. Es ist eine alte Tradition. Jedes neue Mitglied des Clans verbringt seine ersten Stunden in diesem Stuhl und wird hier entweder von seinem Erschaffer oder von einem Vertreter gehalten."

„Ah ich verstehe! Ein Sirus hält hier also seinen Centra im Arm, wenn er ihn frisch verwandelt hat?", schlussfolgerte Edmond voller Begeisterung.

„Ja, genau. Centras und Loraibs werden von ihrem Sirus gehalten, Moras von einem anderem Mora und Parleys vom Schalnar, das bin ich", fütterte Djoser ihn mit weiteren Informationen.

„Und was ist mit den Kalkadoren?", wollte Edmond ebenfalls wissen, worauf Djoser es zu bereuen anfing, dem Doktor so viel zu erzählen.

Zum Glück für Djoser schaltete sich Peter ein und erklärte genauer: „Kalkadore werden ebenfalls von ihrem Sirus gehalten. Kalkadore sind normalerweise ehemalige Mitglieder der Rangorder. Nur bei uns gibt es so viele Kalkadore, die als solche erschaffen wurden, weil Altair sich von seinem Clan gelöst, und einen neuen gegründet hatte. Und nur bei uns war es so, dass Noel anstelle von Altair sich um alle neu erschaffenen Vampire gekümmert hatte. Das ist auch der Grund, warum er sofort von jedem Clanmitglied als Clanführer anerkannt wurde."

„Ist es für jeden Vampir möglich, sich von seinem Clan zu lösen und einen eigenen zu gründen?", kam auch schon die nächste Frage.

„Dies zu beantworten würde länger dauern und ich würde jetzt ganz gern die Gelegenheit nutzen, dass ich ein ganzes Bett nur für mich allein haben werde. Und ich nehme an, dass auch Sie bestimmt schon sehr müde sind", meinte Peter und zwinkerte Djoser dabei frech zu.

Etwas enttäuscht sagte Edmond: „Ähm, ja sicher. Vielleicht können wir uns ja morgen darüber unterhalten?"

„Sicher, warum nicht?", täuschte Peter Begeisterung für eine weitere Fragerunde vor.

„Gut, dann bis morgen", verabschiedete sich Edmond schließlich von den dreien, wobei er vergeblich auf eine Erwiderung seines Grußes wartete, und er sich für den nächsten Tag vornahm zu fragen, warum Vampire sich kaum voneinander verabschiedeten.

„Alles OK bei dir?", fragte Djoser liebevoll an Jermyn gerichtet, welcher aus müden Augen zu ihm aufblickte. „Ja", antwortete er.

„Gut, dann lass uns ein bisschen schlafen", erwiderte Djoser mit einem freundlichen Augenzwinkern.

 

 


 

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